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Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande 2

Friedrich Gerstäcker
Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande
Kapitel 2

Was dem Fritz im Wald begegnete

Fritz ging, wie schon früher gesagt, recht traurig nach Hause zurück. Er achtete gar nicht mehr auf den Pfad, er kannte ja auch hier jeden Busch. Weil es ihm dabei einfiel, dass es doch wohl noch ein wenig zu früh sein mochte, um sich vor seinem Pflegevater sehen zu lassen, denn er war wirklich sehr gelaufen, setzte er sich unter einen der blühenden Büsche auf einen umgefallenen Baumstamm. Es tat ihm unendlich wohl, so ungestört an all das denken zu können, was ihm recht schwer auf dem Herzen lag.

Er mochte wohl eine volle Stunde so da gesessen haben. Die Sonne neigte sich schon tief nach Westen hinunter. In Amerika ist aber die Dämmerung ungemein kurz, und dem wirklichen Sonnenuntergang folgt die Nacht auf dem Fuß. Nach dem Dunkelwerden mochte er auch nicht lange ausbleiben, weil sein Pflegevater sonst wohl gezankt haben könnte. Fritz wollte sich eben emporrichten, um den Heimweg anzutreten, als er ein Geräusch hörte und gleich darauf schwere Schritte im gelben Laub vernahm, die näher und näher kamen.

Zuerst wollte er ruhig fortgehen und sich nicht daran kehren, ob ihn jemand sähe. Dann fiel es ihm aber auf einmal ein, wie der Weg nach Hudson gerade in der entgegengesetzten Richtung von diesem Wäldchen läge. Erfuhr aber sein Pflegevater, dass er sich an jener Stelle herumgetrieben, bekam er harte Worte, ja vielleicht sogar Schläge. Fritz fürchtete die Schande eines Schlages mehr, als die härteste unfreundliche Behandlung und Strafe. Deshalb ruhig in dem Schutz des dichten Busches, unter dem er sich befand, sitzen bleibend, wollte er das Vorübergehen des jedenfalls nur zufällig Durchkommenden abwarten, als er durch eine kleine Lichtung, die er von seinem Platz aus vollkommen gedeckt überschauen konnte, zu seinem Erstaunen seinen Pflegevater erkannte, der, einen kleinen Spaten in der Hand, mit einem nicht sehr großen, aber dem Anschein nach ungemein schweren Sack auf den Schultern herankeuchte. Er blieb oft stehen, um sich entweder auszuruhen oder zu horchen, denn er wandte den Kopf in solchen Fällen vorsichtig nach allen Seiten und setzte danach seinen Weg, und zwar gerade auf ihn selber zu, fort.

So nahe war er dabei gekommen war, dass Fritz schon im Begriff stand, vorzutreten und sich dem alten Manne auf Gnade und Ungnade zu ergeben, – denn er glaubte nicht mit Unrecht, es würde besser sein, sich selber zu melden als hier gefunden zu werden -, als der alte Rothhayn plötzlich stehen blieb, seinen Spaten an einen Baum lehnte und den Sack vorsichtig, wie es schien mit Anstrengung aller seiner Kräfte, von der Schulter auf die Erde gleiten ließ. Es klang genau so, als ob Geld darin wäre. Fritz erschrak gewaltig, er wusste selber eigentlich nicht weshalb.

Rothhayn nahm sich aber nicht einmal Zeit, auszuruhen. Kaum lag die klingende Last am Boden, als er erst noch einmal vorsichtig nach allen Richtungen hin lauschte, ob er kein verdächtiges Geräusch hören könne und daraufhin mit seinem Spaten eifrig daran ging, ein enges, aber tiefes Loch auszuwerfen, in das er den Sack hineinhob und die Erde wieder vorsichtig darauf feststampfte. Als das geschehen war, trug er, soweit ihm das die mehr und mehr einbrechende Dämmerung erlaubte, all die kleinen Erdklumpen zusammen, die etwa noch zerstreut umherlagen und verraten konnten, dass hier frisch gegraben worden war. Dann ein paar niedergebrochene Äste, die es unter dem alten Baum in Mengen gab, gerade über die Stelle ziehend und mit durchgestreutem dürren Laub auch das letzte Zeichen vernichtend, schulterte er seinen Spaten wieder und schlich sich, so schnell er konnte, aus dem schon düster werdenden Schatten des Holzes nach Hause zurück, denn er fürchtete sich nachts, auch nur vor seine Tür zu treten. Nichts in der Welt hätte ihn bewegen können, bei dunkler Nacht nur eine kleine Strecke durch einen Wald zu gehen.

Was kann der Alte da vergraben haben?, dachte Fritz und blieb, als die Schritte desselben schon lange im Laub verklungen waren, noch immer in stiller Verwunderung in seinem Versteck zurück. Geld? Es klang beinahe so, aber lieber Gott, wenn er nur soviel Geld in Kupfercent hätte, darbte er sich doch gewiss nicht den Bissen Brot vom Munde ab. Was sollte es sonst sein? Nägel? Weshalb sollte er die so heimlich zu vergraben? Es hätte sie ihm ja niemand gestohlen.

Fritz rieb sich die Stirn und wusste in aller Welt nicht, was er aus der ganzen Sache machen solle, als er plötzlich, dicht vor sich, wieder ein Geräusch zu hören glaubte. Als er aufschaute, hätte er beinahe laut aufgeschrien, denn auf derselben Stelle, auf der er noch vor wenigen Minuten seinen Pflegevater hatte graben sehen, stand jetzt niemand anderes als Wolfram, Helenes Vater, und schaute sich gar aufmerksam den Platz an, wo jener gegraben und dann die Bäume umher. Der Ort aber war sehr kenntlich, denn der tote Baum, der hier stand, konnte als vortreffliches Merkzeichen gelten. Wie er sich nun von allem recht genau überzeugt hatte, kroch er in einen dichten Busch, der die kleine Lichtung mit begrenzte, zurück. Fritz konnte deutlich hören, wie er sich langsam und geräuschlos entfernte.

Fritz war starr vor Staunen und hatte er auch im Anfang wirklich einmal den Mut vorzuspringen und dem Manne zu sagen, dass er da wäre und ihn wohl gesehen habe, so hielt ihn doch wieder die Furcht, die er gerade vor dem alten Wolfram empfand, davon zurück. Was hätte er auch sagen können, wenn ihn dieser fragen würde, wie er da hingekommen sei und was er versteckt bei Nacht und Nebel im Walde treibe. Endlich sprang Fritz erschreckt auf und das ganze heimliche Treiben der beiden alten und einander so feindlichen Männer kam ihm in dem Augenblick so unheimlich vor, dass er seine Mütze griff und, so schnell ihn seine Füße trugen, quer durch den Wald seiner Wohnung zulief.

Nicht weit vor seines Pflegevaters Haus angekommen, zögerte er aber noch, es zu betreten, bis es vollkommen dunkel geworden war. Er fühlte sich so aufgeregt, dass er meinte, der alte Mann müsse ihm gleich ansehen, es sei etwas Außerordentliches mit ihm vorgegangen. Und dann wusste er auch wirklich nicht, ob er ihm aufrichtig gestehen solle, was er gesehen hatte, oder ob es besser wäre, sich um gar nichts zu bekümmern und dadurch jedenfalls einer Untersuchung zu entgehen, was er zu jener außergewöhnlichen Zeit, an jenem außergewöhnlichen Platz getrieben und wie er da hingekommen sei. Sein gutes aufrichtiges Herz siegte aber zuletzt über alle Bedenklichkeiten, die ihn selber betreffen konnten. Als er endlich die Schwelle überschritt, deren freudloses Heiligtum er seine Heimat nannte, war er fest entschlossen, dem alten Mann alles offen und frei zu bekennen. Er hatte nichts Böses getan und brauchte sich deshalb auch nicht zu schämen oder das Licht zu scheuen.

Und dennoch musste er sich zur Ausführung dieses guten Vorsatzes zuletzt ordentlich zwingen, denn der alte Rothhayn war an diesem Abend mürrischer als sonst, wollte kaum anhören, wie seine Bestellung in Hudson verlaufen war. Er hatte ihn ja doch auch nur dorthin geschickt, um ihn hier aus dem Weg zu haben, während er in den Wald ging. Der Alte befahl ihm dann ohne Weiteres ein Stück Brot zum Abendessen zu nehmen und zu Bett zu gehen.

Fritz zögerte, so folgsam er auch sonst allen Befehlen gehorchte. Das Herz klopfte ihm laut und er wusste gar nicht, wie er beginnen sollte, bis ihn der alte Mann zuletzt barsch und unfreundlich anfuhr und er einsah, wie ihm weitere Ausreden und Ausflüchte nichts mehr helfen würden. Kaum hatte er aber auch nur den heutigen Abend und den Wald erwähnt, dass er dort gewesen wäre und etwas gesehen hätte, als der alte Rothhayn plötzlich mit stierem entsetztem Blick auf ihn losfuhr, ihn an den Schultern packte und so mit Fragen und Ausrufungen überschüttete, dass Fritz anfangs wirklich gar nicht zu Wort kommen konnte und den alten, vor Schreck und Aufregung halb tollen Mann durch verschiedene Geständnisse, die er aber nur immer teilweise begriff, mehr und mehr verwirkte.

Mit unendlicher Mühe begriff Rothhayn endlich den Sinn des Ganzen, begriff, dass er nicht allein leichtsinniger unbegreiflicher Weise Zeugen seines so ängstlich ausgeführten Planes, sondern sogar noch einen Aufpasser gehabt hatte, der ihm nachgeschlichen und nun am Ende – das Haar sträubte sich ihm, wenn er nur an die Möglichkeit dachte – ihn berauben könne.

Fritz blieb auch nicht mehr im Zweifel, was das Vergrabene gewesen sein könne, denn der Geizhals raste förmlich in dem kleinen Raum auf und ab, raufte sich die Haare und wehklagte, dass jetzt alles, was er sich durch ein Lebensalter angespart und erarbeitet habe, in die Hände eines Räubers fallen solle. Fritz hatte es nämlich nicht übers Herz bringen können, den Namen von Helenes Vater, obgleich mit einem solchen Verdacht beladen, zu nennen. Selbst beunruhigt darüber aber, dass jener Mann doch am Ende Böses im Sinn gehabt haben könne und dass es kein Zufall nur gewesen, der ihn dort so in anscheinender und wirklich verdächtiger Heimlichkeit in den Wald geführt hatte, riet Fritz nun seinem Pflegevater, lieber gleich noch einmal dorthin zurückzugehen und das Eingegrabene zu sichern, als es länger einer solchen Gefahr ausgesetzt zu lassen und erbot sich ihn zu begleiten. Der alte Mann wies dies Anerbieten aber zuerst aus zwei Gründen zurück.

Vor allen Dingen misstraute er dem Knaben, dass dieser vielleicht gar den Plan haben könne, den Schatz selber an sich zu bringen und nur jetzt auf einen flüchtigen Verdacht hin den genauen Ort zu erfahren wünsche. Es ist der Fluch aller schlechten Menschen, in jedem, der ihren Weg kreuzt, das Spiegelbild ihres eigenen Herzens zu sehen und in Angst und Misstrauen ihre Tage hinzuschleppen, während der Gute vertrauend jedem Fremden selbst ins Auge schaut und auf Blumen wandelt, der andere sich durch Dornen seine traurige Bahn reißt. Dann war aber auch sogar der vergrabene Schatz kaum ein starker Hebel genug, die Angst zu beseitigen, die der törichte alte Mann vor dem dunklen Wald hatte.

Er fürchtete sich nicht vor Geistern. So behauptete er wenigstens und spottete oft über die sogenannte Gespensterfurcht. Er wusste auch, das kleine Holz konnte keinem gefährlichen Menschen zum Schlupfwinkel dienen. Aber etwas in seiner Brust trieb ihm das Blut in eisigem Strom zum Herzen zurück, wenn er sich irgendwo im Dunkeln – sein eigenes Zimmer ausgenommen – allein fand und das Bewusstsein, doch wohl nicht so gehandelt zu haben, wie er es einst vor Gott verantworten könne, ließ ihn wahrscheinlich das schon hier auf Erden fürchten, was wir Menschen gewöhnlich erst an dem Thron des Höchsten suchen – Vergeltung. Ein böses Gewissen lässt den, der ihm verfallen ist, nicht ruhen, noch rasten und die Zeit, die guten Menschen die Zeit der Ruhe ist, wird ihm zur Geisel, ihr Opfer auszutreiben in wilder Angst und Pein.

Fritz stand übrigens im Anfang ganz verdutzt vor dem alten Mann, denn in so furchtbarer, unnatürlicher Aufregung hatte er ihn im Leben noch nicht gesehen. Er vergaß, ihn zu fragen, woher er auf einmal das viele Geld bekommen habe. Als aber die erste Erregung vorüber war und der Alte einzusehen anfing, dass hier wirklich gar nicht mehr so viel Zeit zu verlieren sei, wenn er das schon in der Tat halb verloren Gegebene noch retten wolle, wurde die Furcht vor dem Verlust mächtiger in dem Greis, als die vor etwaigen bösen Wesen. So des Knaben Arm ergreifend, in der rechten Hand den Spaten und im Gürtel ein großes Messer, mit dem er sich – er wusste nicht gegen wen – verteidigen wollte, wankte er in fieberhafter Hast dem Wald zu, wo er seinen Schatz in so unsicheren Boden vergraben hatte.

Unterwegs auch und zum ersten Mal in seinem Leben, dass er den Knaben eines solchen Wortes würdigte, erzählte er ihm mit halb geflüsterten heiseren Worten – er sprach nur, dass es nicht so entsetzlich still um ihn herum sein sollte – wie er sein kleines Haus hätte verkaufen wollen, denn es koste ihn zu viel Geld, eine eigene Wirtschaft zu unterhalten, um irgendwo zur Miete in ein Städtchen zu ziehen. Er habe deshalb sein bisschen mühsam erspartes Vermögen – einen Sack voll Kupfer – draußen im Wald vergraben, denn die Menschen seien böse und man könne ihnen nirgends mehr trauen auf der Welt.

Fritz sprach kein Wort, aber das Herz tat ihm weh in der Brust, als er den alten Mann so reden hörte. Er schritt nur schneller vorwärts, recht bald an den Ort ihrer Bestimmung zu kommen. Der alte Rothhayn schien sich durch den Weg und das Reden auch wieder in etwas beruhigt zu haben. Oder war er hier draußen ängstlicher geworden? Denn er sprach nicht mehr so viel, blieb oft stehen und horchte in die stille Nacht hinaus. Aber nichts ließ sich da hören, als der wehmütig klagende Ruf des whip poor will, einer kleinen Art Nachtschwalbe, oder das schauerlich klingende Geschrei der Eule, die, aufgescheucht durch die ungewohnten Nachtwandler, von dem Zweig, auf dem sie gesessen hatte, ein Stück weiter in den Wald hineinflatterte und ihr Konzert da fortzusetzen.

Fritz wusste übrigens hier in dem Busch genau Bescheid. Es gab kaum einen hohlen oder umgefallenen Baum darin, den er nicht kannte. Viele davon hatte er selber gefällt, und so schritt er in dieser anscheinenden Wildnis, durch die sich der alte Rothhayn selber nicht zurechtgefunden haben würde, ruhig und schnell vorwärts, bis sie die kleine Lichtung erreichten, wo er an diesem Abend gesessen hatte und dabei ein unfreiwilliger Zeuge des Schatzvergrabens geworden war.

»Hier ist der Platz!«, sagte da plötzlich der Knabe.

Der alte Mann erbebte an allen Gliedern bei diesen Worten. »Wo – wo?«, rief er und erkannte im ersten Augenblick nicht einmal den Ort, den er sich selber als heimlich und gut versteckt, wie er glaubte, ausgesucht hatte. Gleich darauf erblickte er jedoch gegen den hellen bestirnten Himmel den alten vertrockneten Baum, der seine dürren Äste wie riesige Arme und Krallen in die Luft hinaufstreckte. Zu gleicher Zeit aber, mit zitternden Händen nach den Wurzeln niederfühlend, stieß er einen furchtbar gellenden Schrei aus. Das Loch war offen, das Holz, was er darauf gezogen hatte, zurückgeworfen, die Erde aufgegraben – und der Platz leer.

»Fort, fort, fort! Alles fort!«, schrie er, sich in rasender Wut auf die Erde niederwerfend und sein Haar raufend. »Fort, mein Ein und mein Alles, mein Lebensblut und Saft, mein Gold, mein Gold, mein Gold! Aber du weißt, wo es ist!«

Er sprang plötzlich empor und fasste dem entsetzt zurückfahrenden Knaben an die Kehle, die er ihm mit seinen Knochenfingern umspannte. »Du musst gestehen, wer es gestohlen hat. Und wenn ich dir das Geständnis mit der Seele entreißen sollte!«

Fritz bedurfte all seiner Kraft, sich loszureißen von dem Wütenden, denn er wäre fast erstickt. Aber er gestand nicht, wer der Mann gewesen sei, den er gesehen hatte. Er konnte es nicht übers Herz bringen, den Vater seiner kleinen Helene zu verraten, wenn er auch blutige Tränen hätte weinen mögen, dass gerade dieser ein so schlechter entsetzlicher Mensch sein solle.

»Ich glaube, ich würde sterben, wenn ihm einmal ein Leid geschähe«, hatte sie gesagt. Diese Worte klangen ihm jetzt immer in den Ohren und er hörte nicht, was ihm der alte rasende Mann sonst noch hineinschrie.

Rothhayns Kräfte ließen aber bald nach. Schrecken, Wut, Verzweiflung, mit der ungewohnten Anstrengung den Tag hindurch, mochten wohl gleich viel dazu beigetragen haben. Er ließ den Knaben plötzlich los, taumelte ein paar Schritte zurück und brach dann bewusstlos zusammen.

Fritz wollte ihn zwar nach Hause tragen, aber dazu war er zu schwach. Doch holte er rasch Wasser in seiner Mühe, rieb ihm damit die Schläfe, gab ihm zu trinken und brachte ihn wieder zu sich, bis er aufstehen und langsam mit zu seiner Wohnstatt gehen konnte. Kaum aber wieder so weit zu sich gekommen, dass er den Verlust, den er erlitten hatte, voll begriff, begann seine Raserei von Neuem.

Er beschuldigte Fritz selber des Diebstahls, wollte ihn Morgen am Tag vor Gericht verklagen, dass er seine Helfershelfer nennen solle, und stieß dabei so entsetzliche gotteslästerliche Reden aus, dass dem armen Knaben zuletzt ganz Angst und Bang zumute wurde. Er wollte Hilfe holen, aber der Alte ließ ihn nicht aus der Tür. Während er noch schrie, wehklagte, fluchte und lästerte, wurde sein Gesicht immer bleicher, sein Auge immer stierer. Die Adern schwollen ihm auf, als ob sie zerspringen wollten. Als er sich wieder auf den Boden geworfen, sein weißes Haar zerrauft und seine knöchernen Finger gewunden hatte, sprang er plötzlich empor, stieß einen lauten geltenden Schrei aus und fiel rücklings, so lang er war, auf die Erde zurück.

Er war tot – ein Herzschlag hatte ihn getroffen. Als Fritz sich über ihn beugte und ihn ins Leben zurückzubringen versuchte und der alte Mann ihm kalt und kälter unter den Händen wurde, da begriff er endlich, dass hier jede Hilfe vergebens sei und Gott selber den Greis zur Rechenschaft gezogen habe vor seinen Thron, er aber nun ganz allein stehe in der Welt und hinauswandern könne in die Weite, sein tiefes bitteres Weh im Herzen.

Es ist wunderbar, wie gleich auf dieser Erde die Sorgen, Schmerzen und Freuden für uns arme Sterbliche, jedes eigenen Kräften angemessen, verteilt sind. Das kleine Kind hat, seinem kleinen Herzchen nach, denselben Kummer über ein zerbrochenes Spielzeug, wie der Mann, dem eine Lebenshoffnung zertrümmert wurde. Es fühlt es in dem Augenblick wenigstens eben so tief.

Der Schulknabe, der seine Lektion nicht gelernt, steht oft, so rein und unschuldig sein Herz auch sonst sein mag, mit derselben Angst, demselben klopfenden Herzen vor seinem, finster die Stirn runzelnden Lehrer, wie der erwachsene Verbrecher vor seinem Richter. Mit den Jahren wächst unsere Kraft, aber unsere Sorgen nehmen nicht ab, sie wachsen mit ihnen. Aus dem zerbrochenen Spielzeug wird eine schlechte Zensur in der Schule und eine Strafe des Lehrers, aus dieser die erste Trennung vom väterlichen Haus und werden wir erst älter. Dann kommen der Sorgen mehr und mehr und jede halten wir für die schwerste, die uns Gott beschieden, bis uns die Nachkommende belehrt, dass wir uns doch geirrt haben. Den Wogen der See, die dem Schiffer entgegenwälzen, gleichen die Sorgen. Die ihm Nächste sieht stets am größten, gefährlichsten aus – weiter zurück werden sie kleiner und kleiner, bis zuletzt in weiter Ferne das Meer still und ruhig zu liegen scheint. Und doch sind sie alle gleich groß und gewaltig und unser Lebenskahn gleitet von Gottes Hand gehalten, leicht und sicher darüber hin.

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