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Southern Reach-Trilogie Band 2 – Autorität

Jeff VanderMeer
Southern Reach-Trilogie Band 2
Autorität

SF, Mystik, broschiert, Verlag Antje Kunstmann, München, Januar 2015, 368 Seiten. 18,95 Euro, ISBN 9783888979958, übersetzt von Michael Kellner

Die letzte Expedition in das von der Southern Reach-Organisation abgeriegelte »Area X« bleibt ebenso verschwunden wie ihre rund ein Dutzend Vorgänger. Vor mehr als dreißig Jahren wurde ein Landstrich der USA von einem Ereignis heimgesucht, das die Gegend auf unwirkliche Weise verändert hat. Die als »Area X« titulierte Region ist seitdem unbewohnbar geworden. Manchmal jedoch kehren einzelne Mitglieder der Expeditionen zurück. Unvermittelt tauchen sie, ohne Gedächtnis an das Geschehene, an Orten auf, die für sie wichtig waren. Auch von der letzten Expedition (deren Erlebnisse in »Southern Reach« Band 1 – Auslöschung beschrieben wurden) ist so ein Rückkehrer aufgetaucht: die Biologin. Im »Southern Reach«-Hauptquartier wird sie Befragungen unterzogen, wobei man nie sicher sein kann, ob sie die Wahrheit sagt oder nur so tut, als hätte sie keine Erinnerungen an die Zeit in der Zone. In die Wirren dieses Szenarios wird nun John Rodriguez geworfen, genannt »Control«. Als die Direktorin der Einrichtung verschwindet, wird er dafür eingesetzt herauszufinden, was es mit ihr und den Rückkehrern auf sich hat. Control untersucht das Büro und findet seltsame Zusammenstellungen von Gegenständen und Aufzeichnungen, die ihn nachhaltig verwirren. Handelt es sich um geheime Codes oder gar Schutzzauber, falls es so etwas überhaupt gibt? Auch die Biologin erweist sich als schwer zu knackende Nuss. Immer wieder lockt sie ihn in semantische Fallen, bald verhören sie sich gegenseitig. Controls Vorgesetzte (unter ihnen seine eigene Mutter, die ihm diesen Job aus undurchsichtigen Motiven beschaffte) wollen Ergebnisse sehen, aber je mehr er über die Expeditionen und ihre Teilnehmer erfährt, desto mehr verliert er den Halt zur Realität. »Area X« – so scheint es – hatte bereits ihre Fühler in die Zentrale ausgestreckt, Menschen zu sich gerufen oder verändert. Oder entspringt das alles nur Controls Phantasie?
Band 1 der Southern Reach-Trilogie war eine mystische, unheimliche Offenbarung, im explorativen Ethnologenstil aufbereitet, hypnotisch und getragen, mit Anleihen von Poe und Lovecraft. Trotz der Rückblicke besaß der Roman einen unmittelbaren Stil, einen magischen Sog. Dass Band 2 inhaltlich komplett anders aufgebaut ist, war zu erwarten, aber der Unterschied zwischen den Romanen könnte fast nicht größer sein. Während Auslöschung einen »Sense of Wonder« verströmt, igelt sich Autorität in einer undurchsichtigen Bürokratie ein. Verquere Motivationen, viele davon über die ganze Zeit im Dunkeln liegend, bringen die Figuren gegeneinander auf, überall herrscht Misstrauen, es wird verschwiegen und gelogen, taktiert und traktiert, wo es die Möglichkeiten dazu gibt. Ein Grundgefühl der Paranoia macht sich nicht nur bei der Hauptfigur, sondern auch beim Leser breit. Zunächst folgt man dem Autor noch gern, wenn es um die Verhöre mit der Biologin geht. Hier wird die Brücke zu Teil 1 geschlagen, man erkennt in einigen Aussagen Situationen wieder, aber schon bald weicht das Gesagte vom (vermeintlich?) Erlebten ab. Noch immer ist ungewiss, wer oder was hinter »Area X« steckt (auch wenn es im Bezug auf das Territorium gen Ende eine Erweiterung zu geben scheint – auch das bleibt letztendlich ungewiss, wie fast alles im Roman), nur die Gefahr, die davon ausgeht, wird immer deutlicher, wenn auch nicht konkreter. Dass das Gebiet Menschen beeinflusst – psychisch wie physisch – wird jedoch in Band 2 zur Gewissheit. Im Mittelteil des mit etwa 360 Seiten rund die Hälfte zum ersten Band umfangreicheren Buches verzerrt VanderMeer das ohnehin undeutliche Bild der handelnden Figuren und ihrer Motivationen so sehr, dass es zur Tortur wird, alldem weiter zu folgen. Die intendierte Spannung kommt nur teilweise auf, zu konfus wird hier eine Verwirrung gestiftet, die im letzten, fast treibsandzähem Drittel zum puren Absturz und völliger Dekonstruktion des Hauptcharakters führt. Lediglich auf den letzten Seiten bekommt VanderMeer noch einmal die Kurve, liefert nur dürftige Ansätze von Bedeutungen und Auflösungen, die auch – wenn man anderen Kritiken glaubt – in Band 3 nicht vorhanden sind. Autorität wird somit – trotz guter Ideen – zur absoluten Geduldsprobe und bietet zu wenig Schnittmenge mit dem Vorgänger, um außer überinterpretativer Komplexität Mehrwert zu bieten. Was das für den Abschlussband Akzeptanz bedeuten mag … Darüber denkt man lieber erst einmal nicht nach.

(sv)