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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Freibeuter – Zur Jagd des Kronprinzen

Der Freibeuter
Erster Teil
Kapitel 9

Zur Jagd des Kronprinzen

Ein freundlicher Herbsttag lag auf den nordischen Gegenden. Die Nebel, welche fast das ganze Jahr über auf den Gewässern liegen, hatte die klärende Herbstsonne verdrängt. Ihre Kraft gewährte eine weite Aussicht auf die blaue Flut und die hellen Küsten.

Der Kronprinz Christian von Dänemark, 17 Jahre alt, hatte zu Ehren Kathinkas, der Gemahlin des russischen Zaren Peter, welcher mit dieser einen Besuch in Kopenhagen machte, eine glänzende Jagd einige Meilen nordwestlich von Kopenhagen angeordnet. Man sah an diesem Morgen eine Menge Hofherren zu Pferde und Hofdamen in Wagen aus der Residenz eilen, teils um selbst der Freuden der Jagd an einem so herrlichen Tag, wie dieser zu werden versprach, teilhaftig zu sein, teils um durch Anschauen der Luft Vergnügen zu empfinden. Einige von den Damen schienen. Nach ihrer Kleidung zu schließen, selbst gewillt, als Nymphen der Diana die Spur des Wildes mit zu verfolgen. An der Spitze dieser mutigen Amazonen sah man die 27-jährige Zarin. Andere dagegen – und das war die Mehrzahl – eilten nur an den Platz, um sich zu zeigen und auf dem nicht weit von Güldenlund unweit des Seegestades gelegenen königlichen Jagdschlosses nach beendeter Jagd sich mit Tanz und anderer Kurzweil zu ergötzen.

Nicht weit vom Zar und dem Kronprinzen sah man eine junge Dame zu Pferde, mit den wildschönen Reizen einer Amazone, mit jenem weiblich gebieterischen Wesen und den kühnen Zügen, womit die bedeutungsvolle Göttersage die Beherrscherin der Wälder, die Jägerin Diana, ausgestattet hat. Nur fehlte in dem imponierenden Gesicht der Reiterin jener starke Zug kalter Keuschheit, welcher von einer anderen Seite die Göttin als nächtliche Himmelswandlerin charakterisiert. Vielmehr stammte aus dem Auge der dänischen Jägerin ein süßes Feuer, welches die Männerwelt stärker anzuziehen pflegt, als die kalte Keuschheit der Mondgöttin. Die bezeichnete Schöne hatte die steife Tracht ihres Zeitalters, insofern sie der Bewegung einer reitenden Jägerin hinderlich war, mit einem leichten grünen Jagdrock vertauscht. Ebenso gab sich in ihrem übrigen Äußeren eine gewisse Nachlässigkeit kund, die in Widerspruch mit der gespreizten Gezwungenheit der übrigen Damen stand. So war an die Stelle des hochfrisierten gepuderten Toupets ein gefälliger schottischer Kopfputz getreten, in welchem manche Hofleute auch außerdem noch eine besondere politische Bedeutung suchten. Ein paar natürliche Locken quollen unter dem gestreiften Barett hervor und fielen auf die halb entblößte bräunliche Schulter. Der volle Busen wogte fessellos im bunten Mieder, über welches der Reitrock nur zur Hälfte gespannt war. Wer sich also von den damals noch weit stärkeren Fesseln der Mode loszusagen imstande war, um einen schönen Körper in malerischer Hülle zu zeigen, musste von Leib und Seele ein außerordentliches Wesen sein. Und wirklich entsprach schon das, was man sah, ein herrlicher schlanker Wuchs, ein reizendes Gesicht von etwas gedämpfter Farbe und ein großes brennendes Auge dieser Voraussetzung. Jezuweilen sah die stolze Reiterin auf die Hofschranzen, die sie umgaben, mit einem Blick voll kalter Gleichgültigkeit. Dann warf sich ihr schön geschnittener Mund spöttisch auf und wenn sie ja auf die Schmeicheleien, die man ihr zuzuflüstern so geschäftig war, etwas erwiderte, so geschah es mit Hohn. Zu ihrer Rechten ritt ein fein geputzter junger Mann von mittlerer Statur, mager und unansehnlich. Um seine Schläfe flog ein dürftiges rötliches Haar, fein flaches, farbloses Gesicht zeugte von wenig Geist und nur aus seinem blinzelnden Auge sprach ein solcher, der Geist der Lüge. Der Ausdruck des Auges gab seinem ganzen Wesen etwas Lauerndes. Wirklich neigte er sich bald zur Reiterin, bald zu seinem Nachbar, bald vor, bald hinter, und während auf seiner Lippe kaltes Lächeln schwebte, lauerten Auge und Ohr auf Worte, Blicke, Mienen und Bewegungen seiner Umgebung.

Plötzlich sah man den Kronprinzen, einen schwächlichen, aber nicht uninteressanten Jüngling, sich vom Zar abwenden und an die schöne Reiterin heransprengen. Ehrerbietig wichen die Hofleute zurück, und nur der bezeichnete Reiter zur Rechten hielt sich nicht so weit entfernt wie die Übrigen, und behauptete durch seine Nähe irgendein Recht auf die Dame.

»Sie werden mir doch erlauben, verehrtes Fräulein von Gabel, Ihnen das erste Stück Wild, welches meine Hand heute erlegt, als Tribut Ihrer Schönheit zu Füßen legen zu dürfen? Ich habe vor Kurzem noch gehört, dass Sie die edle Kochkunst trotz unseres Küchenmeisters verstehen. Wenn Sie mir versprechen, das Wildbret selbst zuzubereiten, so lade ich mich zu Gast bei Ihnen dazu.«

»Sie sind sehr gütig, Königliche Hoheit«, versetzte die Dame, »mir die Gunst, das Mittel Ihrer Belohnung zu sein, vergönnen zu wollen. Dem Sieger gehört der Preis. Ich werde ihn braten und Eurer Hoheit vorsetzen. Aber was soll ich mit dem Fell und dem Geweih anfangen? Soll ich Ihnen dies auch auf eine passende Weise zurechtmachen, mein Prinz?«

»Ich bitte Sie, Fräulein, Ihrem Bräutigam ein paar Beinkleider aus dem Fell gerben zu lassen. Und mit dem Geweih – zum Geweih wird sich ja wohl auch ein Liebhaber finden.«

»Mein Himmel!«, rief Fräulein von Gabel mit gekünstelter Bestürzung, »Sie wünschen wohl, dass ich das Geweih meinem Bräutigam auch zum beliebigen Gebrauch überlasse?« Bei diesem unzarten Scherz ließ sie ihre Augen mit dem Ausdruck von Verachtung auf dem glatten Reiter rechts ruhen, dessen Gesicht sich zum Grinsen verzog, während der Kronprinz in ein lautes Lachen ausbrach, in welches die Höflinge in der Nähe einstimmten.

»Willst du Fell und Geweih des Hirsches zum Geschenk annehmen, Raben?«, fragte der Prinz den geputzten farblosen Jüngling. »Du sollst auch das Fleisch mit verzehren helfen. Fürwahr, ein paar derbe hirschlederne Hosen werden dir besser stehen, als dieser farbige Plunder der an deinen Beinen herumschlottert. Das Geweih kannst du dir in deinem Wohnzimmer an die Wand nageln lassen, und jedermann wird dich für einen passionierten Waidmann halten.«

»Ich sehe das Geschenk für eine Gnade Eurer Hoheit an«, lispelte der Kammerjunker.

Das Auge des Fräuleins glühte zornig und über ihre Lippen flog ein Wort, das wie Pinsel klang.

Der Prinz warf der reizenden Reiterin einen Blick voll Huldigung zu, und lenkte sein Pferd dicht an das ihre. Der Bräutigam blieb zurück, indes die Unterhaltung des Prinzen und der Dame von beiden Seiten mit Wärme geführt wurde, bis auch der Zar, an der schönen Reiterin ebenfalls Wohlgefallen findend, hinzukam und sich in das Gespräch einmischte.

Nachdem der Kammerjunker eine Zeit lang hinter seiner Braut und seinem Herrn hergeritten war, schien er einzusehen, dass er hier eine etwas lächerliche Rolle spiele. Er hielt also sein Pferd zurück und ritt bald darauf neben einem der Wagen, in welchen die Hofdamen einlogiert waren.

Aus diesem Wagen bog sich auf seinen Gruß ein weibliches junges Gesicht, welches eben nicht mit den das Männerauge sogleich bestechenden Reizen jugendlicher Schönheit ausgeschmückt war, in welchem man aber bei genauerer Betrachtung so viel weibliche Grazie, züchtige Sitte und ein Übermaß von Güte und Edelsinn gewahrte, dass man gar bald den Mangel hoher Schönheit vergaß. Das dunkelblaue Auge dieser Dame schwamm im lebendigen Ausdruck einer reinen, gefühlvollen Seele, die Formen des Gesichts und des übrigen Körpers hatten viel Edles, und aus ihren ungezwungenen Bewegungen entfaltete sich die duftendste Blüte der höheren Weiblichkeit, die Blume der Sanftmut.

»Ihre Base hat heute einmal ihre Kaprizen, mein Fräulein,« redete der goldblonde Kammerjunker Raben die Dame im Wagen an. »In ihre Launen sich finden wollen, hieße Wasser mit dem Sieb schöpfen.«

»Schätzen Sie sich doch glücklich, diese Launen ertragen zu dürfen«, versetzte die Dame mit einem angenehmen Lächeln. Dafür haben Sie ja den Triumph gefeiert, den Lord Palmerston ausgestochen zu haben. Ich weiß eine Zeit, Herr Kammerjunker, wo Sie keinen Preis für zu hoch geachtet hätten, um nur der Gegenstand der Launen dieses Mädchens zu sein. Sie haben Ihr Ziel erreicht, ohne weiter einen Preis zu zahlen, ein Opfer zu bringen. Was wollen Sie noch weiter? Sind Sie nicht der beneidende Mann am dänischen Hof? Sind Sie nicht der glückliche Bräutigam der schönen, von aller Munde gefeierten Friederike von Gabel?«

»Leider!«, versetzte der Kammerjunker mit einem Seufzer, der das lose Kind im Wagen zum Lachen brachte. Auch die übrigen Damen im Wagen standen nicht an, den Kammerjunker ins Gesicht zu lachen, der über seine Unvorsichtigkeit, die ihm in einer Anwandlung von Unmut entschlüpft war. Er wusste selbst nicht wie, erschrak, dass er sich furchtsam umsah, um sich zu überzeugen, dass sie nicht allzu viel zu Ohren gedrungen sei. Sein Kopf gab ihm kein anderes Mittel an die Hand, sich bei den Damen im Wagen aus einer für ihn großen Verlegenheit zu ziehen, als die Worte »Leider, wollte ich sagen, bin ich von den großen Vorzügen des Fräuleins von Gabel so sehr durchdrungen, dass ich für ihre kleinen Fehler gar kein Auge habe.«

»Dazu will sich Ihr ›Leider!‹ schlecht passen!«, versetzte die Dame. »Und wenn sie ja kein Auge für die Fehler meiner Muhme hätten, weshalb wären Sie gekommen, sich bei mit über ihre Launen zu beschweren?«

»Mein wertgeschätztes Fräulein von Ove«, winselte der Kammerjunker, »ich leide heute an meinem Nervenübel. Schieben Sie mir meine unglückliche Klage auf diesen bösen Umstand. Sobald mich mein Zufall plagt, bin ich geneigt, die Dinge schwärzer anzusehen, als sie sind. Ich bitte Sie deshalb dringend, lassen Sie mich die Fehler meiner schwachen Natur nicht entgelten. Verraten Sie meiner Braut nicht, dass ich in einem Anfall meiner Nervenschwäche ein paar unbesonnene Worte über die Herrliche habe fallen lassen, der ich nicht wert bin, die Schuhriemen aufzulösen. Sie wissen ja, Christina, wie ich Friederiken anbete.«

»Ich weiß alles«, rief Christina von Ove launig. »Aber wie können Sie mich für eine Hochverräterin, für eine Majestätsverbrecherin an einer so heiligen, göttlichen, folglich ganz übermenschlichen und überirdischen Liebehalten? Nein, mein Freund, ich verstehe Sie zu schätzen samt Ihrer Liebe. Was Ihre schwachen Nerven verschuldet, soll Ihr wachsweiches Herz nicht durch mich entgelten. Hier haben Sie meine Hand darauf. Und die übrigen Damen schwören Ihnen in meine Hand hier zur Stelle einen feierlichen und leiblichen Eid, dass unsere starken Zungen keine Silbe verraten, die Ihre schwachen Nerven unaufgefordert ausgeplaudert. Wohlan, meine Freundinnen, schwören Sie!«

»Wir schwören!«, riefen alle mit einem komischen Pathos.

Der nun zufriedengestellte Kammerjunker verneigte sich hochvergnügt, um den verschwiegenen Damen seine verbindlichste Danksagung abzustatten.

Bald trottierte es wieder hinter seiner schönen Braut her, um nötigenfalls zu ihren Diensten gleich bei der Hand zu sein. Die Damen im Wagen belachten noch eine Zeit lang die Angst des glücklichen Bräutigams.