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Das schwarze Smartphone

Das schwarze Smartphone

I

»Guten Tag, Frau Doktor, ich habe Ihnen einen USB-Stick voller Fotos mitgebracht. Darauf können Sie sehen, was Ihr Mann so treibt, wenn er nicht bei Ihnen ist. Tut mir ja leid für Sie, aber nun wissen Sie wenigstens, woran Sie sind und können reagieren.«

Frauke nahm den Stick aus der Hand des Privatdetektivs entgegen, den sie beauftragt hatte, ihren Mann einige Wochen zu überwachen. Ihre Freundin Mareike, ebenfalls Doktorin der Medizin, allerdings Fachärztin für Frauenheilkunde und nicht für Psychiatrie und Psychotherapie wie sie selbst, hatte sie darauf gebracht. Sie hatte vor zwei Jahren ihren Exmann überwachen lassen und so herausgefunden, dass er sie mit jeder halbwegs hübschen jungen Frau betrogen hatte. Dann hatte sie sich von ihm, einem Banker, scheiden lassen, finanziell gut dabei abgestaubt und lebte nach eigenen Angaben seither glücklich und zufrieden als Single und gönnte sich manchmal eine Liebschaft.

Mareike hatte Fraukes Mann Theo nicht getraut, denn er sah gut aus mit seinen angegrauten Schläfen und seiner jugendlichen Figur, und er stellte etwas dar als erfolgreicher Miteigentümer einer Anwaltskanzlei im besten Viertel der Stadt. Frauke hatte bemerkt, dass ihm die Frauen, auch die jüngeren, nachschauten, und sie wusste, dass er sehr begehrt war. Dass Theo allerdings fremdging, hätte sie selbst nicht gedacht, und sie setzte den Detektiv, den Mareike ihr empfahl, nur deshalb auf ihn an, um der misstrauischen Freundin zu beweisen, dass sie unrecht hatte.

»Du wirst schon sehen, dass ich recht habe«, sagte Mareike, als sie sie zur Detektei in der Innenstadt fuhr, aber Frauke lachte nur.

Dann aber gab sie Mahnert – so hieß der Detektiv – doch den entsprechenden Auftrag, und nun war er hier bei ihr zu Hause und lieferte ihr Fotos von Theos Eskapaden.

Frauke zahlte ihm die fünfhundert Euro, die er für seine Arbeit verlangte. Als Mahnert das Haus verlassen hatte, ging sie mit dem USB-Stick in ihr Arbeitszimmer zum Laptop und öffnete mit zitternden Fingern die Fotodateien. Tatsächlich! Die Fotos zeigten Theo beim Liebesspiel mit einer jüngeren, sehr hübschen Brünetten, die Frauke nicht kannte.

So ein Schwein! Sie konnte es gar nicht fassen.

 

II

»Er hat dich also tatsächlich betrogen, der Schuft, ich fasse es nicht!«, sagte Mareike, als Frauke bei ihr eintraf und ihr die Fotos zeigte. »Ich hätte dir gewünscht, dass dir das erspart bleibt, aber – wie du weißt – habe ich es bereits befürchtet, Schätzchen. Diese Mistkerle sind doch alle gleich. Natürlich hat er eine Jüngere. Und was nun? Willst du dich scheiden lassen?«

»Zuerst würde ich mich gerne an ihm rächen«, antwortete Frauke mit Tränen in den Augen. »Ich weiß aber absolut gar nicht, wie ich das anstellen könnte, denn wenn ich ihn auch betrüge, ist ihm das ganz sicher wurscht, und etwas anderes fällt mir nicht ein.«

»Lass uns einen Augenblick gemeinsam überlegen, Kleines!«, forderte Mareike und schloss einen Moment die Augen. »Vielleicht fällt uns ja doch etwas ein.«

Während Frauke die Gedanken rasch und in verwirrender Folge durch den Kopf zogen, hatte Mareike einige Minuten später eine Idee.

»Das könnte etwas sein, Frauke«, sagte sie schließlich. »Hör zu! – Es gibt in meinem Freundeskreis eine ungewöhnliche Frau, die all meine Freundinnen, die sie kennen, die ›Hexe‹ nennen. Sie kennt sich mit Kräutern und Tinkturen aus, liest viele alte Bücher mit Runen und ähnlichem Zeug, kleidet sich durchaus ungewöhnlich und lebt auch so. Vielleicht sollten wir sie einmal zu Hause aufsuchen und mit ihr über dein Problem sprechen. Es kann sein, dass sie weiß, wie du dich an Theo rächen kannst.«

»Eine ›Hexe‹?«, fragte Frauke ungläubig.

Dann aber dachte sie, dass vielleicht gerade eine solche Frau, die ganz anders lebte als die Frauen, die sie kannte, und die Kenntnisse zu haben schien, die niemand sonst besaß, wusste, wie sie ihren Wunsch in die Tat umsetzen konnte.

»Lass uns zu ihr fahren!«, sagte sie deshalb zu ihrer Freundin. »Am besten sofort!«

»Dann komm!«, sagte Mareike, nahm ihren Autoschlüssel vom Haken, zog ihre Jacke an und ging zusammen mit Frauke zu ihrem Auto, das in der Garageneinfahrt stand. »Ich glaube, wir haben da eine gute Entscheidung getroffen.«

 

III

»Mein Kräutergarten, auf den ich sehr stolz bin«, sagte die üppige, in ein langes, afrikanisch anmutendes Gewand gehüllte Frau, als sie ihnen das Tor zu ihrem Garten öffnete, der seltene Kräuter beherbergte, die Frauke noch nie zuvor gesehen hatte.

»Was führt euch zu mir, Mareike?«, fragte sie auf dem Weg zur Tür ihres über und über von Efeu bewachsenen Hauses.

»Dies hier ist Frauke, eine sehr gute Freundin von mir, Edda«, entgegnete Mareike. »Sie hat das Problem, dass ihr Mann, der feige Verräter, sie mit einer jüngeren Frau betrügt und sie nicht weiß, wie sie sich an ihm rächen soll.«

Sie betraten das Innere des Hauses, das zu Fraukes Erstaunen sehr modern und mit der neuesten Technik eingerichtet war. Edda führte ihre Gäste ins Wohnzimmer, das mit einer teuren Ledergarnitur, einer Stereoanlage sowie dem neuesten Flachbildfernseher eigerichtet war. Auf einer Kommode lag ein nagelneuer Tablet-PC und an den Wänden hingen moderne Bilder. Einzig die oft sehr alten Bücher in den Regalen und zwei Terrarien – das eine wurde von einer Giftschlange bewohnt, das andere von zwei Vogelspinnen – zeugten von der Extravaganz der Bewohnerin.

»Setzt euch!«, sagte die »Hexe« Edda und holte drei mit Mineralwasser gefüllte Gläser aus der Küche, die nebenan gelegen war.

Dann setzte sie sich ihren Gästen gegenüber in einen Sessel und sagte zu Frauke: »So, dein Mann betrügt dich und du willst dich dafür rächen. Sag mal, was macht ihr beiden denn beruflich?«

Frauke war etwas erstaunt über diese Frage. Dann aber gab sie zur Antwort: »Ich bin Psychiaterin und arbeite in der psychiatrischen Uniklinik als Oberärztin. Mein Mann Theo ist Anwalt für Wirtschaftsrecht. Er ist Mitinhaber einer großen Anwaltskanzlei in unserer Stadt.«

»Das ist interessant!«, sagte Edda und lächelte geheimnisvoll. »Einen Augenblick! Ich will nur etwas holen.«

Zwei Minuten später war sie zurück und gab Frauke ein schwarzes Smartphone in die Hand.

»Was soll ich damit tun?«, fragte Frauke erstaunt.

»Damit sollst du in deiner Klinik einen Verrückten bei verrückten Taten filmen«, erwiderte die »Hexe« lächelnd. »Danach schickst du den Film an deinen Mann, auf sein Handy oder seinen PC, und zwar so, dass er ihn sich garantiert ansieht.«

»Und was passiert dann?«, fragte Frauke.

»Lass dich überraschen!«, entgegnete Edda. »Allerdings kostet dich das Smartphone zweihundert Euro. So viel habe ich selbst dafür bezahlen müssen.«

Frauke hatte das Geld bei sich und bezahlte sofort. Dann verabschiedeten sie und Mareike sich von ihrer Gastgeberin und fuhren zu Fraukes Haus.

Sie würde tun, was Edda gesagt hatte, dachte Frauke am Abend, als sie allein in ihrem Arbeitszimmer saß und sich das schwarze Smartphone noch einmal ansah.

 

IV

»Frau Doktor, kommen Sie doch bitte einmal mit, der neue Patient weigert sich, die Medikamente zu schlucken!«, sagte Wacher vom Pflegedienst.

Frauke saß gerade im Ärztezimmer auf der geschlossenen Station und trank einen Kaffee, als Wacher kam.

Das war eine gute Gelegenheit! – Sie ergriff das schwarze Smartphone, das sie von Edda bekommen hatte, stand auf und lief hinter Wacher her. Sekunden später kamen sie zum Aufenthaltsraum, in welchem der neue Patient namens Steller aufgeregt umherlief und seine Größenphantasien äußerte. Er war der größte Psychiater der Erde und instruierte die Pfleger, was sie mit den Patienten zu tun hatten. Als Frauke bei ihm ankam, gab er auch ihr Befehle, was sie zu tun habe und entzog sich währenddessen immer wieder der Schwester, die mit seinen Tropfen hinter ihm herlief. Frauke zückte ihr Smartphone, filmte all diese Dinge und sagte dem Personal, sie tue dies zu Dokumentationszwecken.

Endlich hielten zwei starke Pfleger auf ihren Befehl hin den nun tobenden Patienten fest und brachten ihn ins Ärztezimmer. Dort beendete Frauke die Aufnahme und gab ihm eine Spritze. Als Steller sich beruhigt hatte, brachten ihn die beiden Pfleger zu seinem Zimmer.

Frauke war wieder allein. Sie rief den Film auf, den sie gerade von Steller gedreht hatte, und schickte ihn dann ihrem Mann auf den Laptop. Er würde ihn sich unter Garantie ansehen, denn er sah sich alles an, was sie ihm schickte.

Im selben Moment jedoch, in welchem sie den Film abschickte, war der Patient Steller von der geschlossenen Station der Unipsychiatrie verschwunden. Als man nach ihm suchte, war er nirgends zu finden, und auch die Fahndung der örtlichen Polizei brachte keinen Erfolg. Steller war unauffindbar …

 

V

»Frau Doktor, hier ist Rüdiger, Sie müssen schnell in die Kanzlei kommen, Ihrem Mann geht es gar nicht gut!«

Frau Rüdiger war die Sekretärin in Theos Kanzlei und hatte Frauke soeben auf der geschlossenen Station der Unipsychiatrie angerufen.

»Was ist denn mit ihm?«, fragte Frauke aufgeregt.

»Er verkündet immer wieder, er sei der größte Psychiater der Welt, habe durch seine Forschung an Psychotikern den Nachweis der Existenz Gottes erbracht und bekomme in diesem Jahr den Nobelpreis für Medizin. Wir dachten zuerst, er wolle einen Witz machen, aber da es gar nicht aufhörte, denken wir nun, dass er verrückt geworden ist. Er wird immer aggressiver und tobt in seinem Büro herum. Wir wissen nicht mehr, was wir noch tun sollen. Bitte kommen Sie schnell!«

Frauke wies die Pfleger an, einen Krankenwagen und auch die Polizei zur Kanzlei zu schicken und nahm selber den Dienstwagen. Theo war offensichtlich verrückt geworden und hatte die gleichen Ideen wie Steller, der noch immer verschwunden war. Ob das mit dem Smartphone der »Hexe« Edda zusammenhing?

Frauke kam zur selben Zeit in der Kanzlei an wie der Krankenwagen und die Polizei. Sie mussten die Tür zu Theos Büro aufbrechen, da er sich dort verschanzt hatte. Er war eindeutig hochgradig psychotisch und aggressiv, sodass ihn die Pfleger im Krankenwagen festschnallen mussten.

Auf der geschlossenen Station stellte man ihn ruhig. In den kommenden Tagen und Wochen bekam er starke Medikamente, doch nichts half gegen seinen Wahn. Als man schließlich alles ohne Erfolg versucht hatte, wusste man, dass Theo wohl nicht zu heilen war und immer psychotisch bleiben würde, wenn nicht ein Wunder geschah.

Frauke aber rief Edda an und erfuhr von ihr, dass der psychotische Patient Steller durch das Filmen mit dem schwarzen Smartphone als Person digitalisiert worden war und nur noch als Filmdatei existierte. Dadurch, dass Theo sich den Film ansah, ergriff diese Datei von ihm Besitz und machte ihn verrückt. So bekam er genau den Wahn, den Steller gehabt hatte, und würde nie wieder gesund werden.

Nach diesem Telefonat lehnte sich Frauke in ihren Sessel zurück und lächelte zufrieden. Das war genau die Art Rache, die sie sich gewünscht hatte. Eine tolle Frau, diese Edda, eine wahre »Hexe«.

(hb)