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Danach kommt nichts

Danach kommt nichts

Man hört es von vielen Menschen und eigentlich sind sich doch alle sicher: Der Tod bedeutet keinesfalls das Ende. Es gibt Nahtoderfahrungen und Rückführungen, die dafür sprechen. Bestimmte Menschen nennen sich Medium und behaupten, sie sehen von Zeit zu Zeit tote Menschen, – Geister, Gespenster, wie auch immer – die Aufschluss über ihr zu Tode kommen geben. Das Medium weiß dann plötzlich Dinge über die Person, die ein Fremder nicht wissen kann, und somit haben wir den vermeintlichen Beweis. Beispielsweise gab es einen Fall, in dem ein Mordopfer einem Medium schilderte, wo die Leiche des Opfers versteckt wurde, um den Mord zu vertuschen, und die Polizei fand die Leiche dort dann tatsächlich. Es konnte eindeutig ausgeschlossen werden, dass besagtes Medium in den Mordfall involviert war und somit davon wusste.

Dann gibt es Fälle, in denen sich Menschen unter Hypnose an Orte und Dinge erinnern, die nie und nimmer in ihr eigenes Leben passen. Sie waren nie an diesen Orten oder haben diese Dinge erlebt, und doch stimmt das, was sie sagen. Sie erinnern sich beispielsweise an ein Kloster in Italien oder an eine Kirche in Ungarn und beschreiben Details, obwohl sie nie dort gewesen sind. Wenn man nach dem Jahr fragt, so ist es beispielsweise 1829 oder 1905. Forscht man dann genauer nach, so bekommt man heraus, dass besagtes Kloster oder jene Kirche zu genannter Zeit tatsächlich existierten, die Person aber davon nichts wusste. Natürlich kann man nachlesen, wo und wann Klöster und Kirchen existierten, aber woher kennen die Personen die Details so genau? Sie beschreiben Dinge wie Fensterverzierungen, Wandfarben und Muster, geheime Fluchtwege und dergleichen.

Die Antwort, die vielen Leuten dabei durch den Kopf geht, ist: Sie haben früher schon einmal gelebt – also hat man mehrere Leben und die Seele ist unsterblich! Menschen glauben aus verschiedenen Gründen an diese Dinge. Einige sind religiös, andere glauben einfach an das Übersinnliche und dann gibt es noch solche, die weder einer Religion angehören, noch an unglaubliche Phänomene glauben, sondern die einfach nur die Vorstellung, dass nach dem Tod nichts kommt, einfach absolut gar nichts, zu grausam finden und so etwas nicht glauben wollen oder vielleicht sogar nicht glauben können. Das wäre ja auch makaber! Man stirbt und ist einfach weg – einfach so, innerhalb von Sekunden. Das gesamte Leben, welches man hatte, war nüchtern und trocken betrachtet umsonst. Man hat gelebt, um zu sterben – ist das der Sinn dieser ganzen Sache, die wir Leben nennen?

Das kann doch nicht sein! Nein, so etwas will keiner hören! Zu wider ist es ihnen allen, den Menschen, die doch am Ende der Nahrungskette stehen mit ihren ganzen Erfindungen wie Waffen zur Verteidigung und Behausungen zum Schutz. Nur damit sind sie allen Tieren überlegen. Und dann soll einfach Schluss sein, auf ewig? Unmöglich! Diese Ansicht möchte kaum jemand vertreten. Einerseits will niemand einfach verschwinden, wenn er stirbt. Andererseits gibt es einem viel Trost und Zuversicht, wenn ein geliebter Mensch gestorben ist, zu glauben, dass er irgendwie noch da, aber bloß an einem anderen Ort ist oder zumindest nicht einfach fort, und das war es dann.

Ich glaube, genau das war auch mein Grund, wieso ich geglaubt habe, dass nach dem Tod nicht alles aufhört. Ich wollte es nicht und ich konnte nicht anders, als inbrünstig zu hoffen, dass danach etwas anderes für uns vorgesehen ist. Etwas Wundervolles – etwas Unendliches. Also dachte ich mir, dass ein Selbstmord auch ein Neuanfang sein kann. Wieso länger in dieser ungütigen Welt leben, wenn danach etwas viel Schöneres auf einen wartet? Ich hatte nichts zu verlieren. Einen festen Freund gab es nicht – es hatte ihn nie gegeben. Meine Familie war mir nicht wirklich besonders wichtig, was ich mir selbst nicht erklären konnte. Ich wusste nicht, ob ich mir selbst Vorwürfe machen sollte, weil ich so kaltherzig darüber dachte, oder ob sie allesamt doch selbst Schuld daran waren, dass es so war, denn immerhin müssen sie mir ja dazu einen Grund gegeben haben. Doch ich selbst konnte keinen Grund dafür finden. War ich also kaltherzig?

Es war ein Dilemma und ich war hin- und hergerissen, weswegen ich mir oft den Kopf zerbrach. Das sollte aufhören. Außerdem gab es auch sonst nichts Wertvolles in meinem Leben. Kein Job, kein Geld, keine Freunde. Keine wichtigen Personen. Keine Freude am Leben selbst. Was sollte bloß aus mir werden? Es gab keinerlei realistische Perspektive, zumindest nicht für mich. Möglicherweise wollte ich schwarz sehen, obwohl es vielleicht nicht mal unbedingt so ausweglos war, aber das war mir egal. Ich wollte einfach nicht mehr.

Am 31. Mai beschloss ich, aus dem Leben zu treten, um in die wundervolle Unendlichkeit überzugehen und nie wieder leiden zu müssen. Sicher, die Christen glauben, man kommt entweder in den Himmel oder in die Hölle. Da ich nicht gläubig war, würde ich nach dieser Ansicht wohl eher in die Hölle kommen, zumal Selbstmord an sich eine schreckliche Sünde war, oder nicht? Ich hatte nie gebetet und mich auch nicht bewusst an die biblischen Gebote und Verbote gehalten, wobei ich natürlich vieles davon automatisch einhielt, wie beispielsweise das Gebot, dass man nicht töten soll. Obwohl ich selbst da nicht völlig sicher war – immerhin tötete ich in meinem Leben eine Menge Fliegen und Mücken und dergleichen. Aber ich glaubte sowieso nicht an diese christlichen Dinge und ich hatte auch nie an Gott geglaubt.

Als Atheist glaubte ich nur daran, dass der Tod nicht das Ende war. Nicht mehr und nicht weniger. Außerdem war ich mir sicher, dass die Zahl 13 nie etwas Gutes verhieß, und wenn man das Datum bedachte, so fiel einem bei genauerem Betrachten auch auf, dass die 31 nichts anderes ist als eine umgedrehte 13 und somit war der Tag wohl gut geeignet für meinen Tod. Immerhin ist es nie gut, ein Leben zu beenden – oder? Nun, wie dem auch sei. Ich war 19 Jahre jung und hätte noch so viel in meinem Leben unternehmen können. Aber ich mochte nicht mehr. Natürlich war es nicht gut, was ich vorhatte, dessen war ich mir bewusst und doch wollte ich es unbedingt. Vielleicht war es auch bloß die reine Neugier, was denn dann tatsächlich nach dem Tod kommen würde. Fest stand, dass ich keinen Sinn mehr sah und ich mir noch nie einer Sache so sicher gewesen bin.

Mit ungetrübtem Blick wollte ich dem Tod mutig ins Auge sehen. Ich stieg auf eine Brücke und kletterte über das Geländer. Schon blieben die Menschen, die sich unter der Brücke befanden, stehen und glotzten hinauf. Zuerst war ich gerührt und dachte, sie würden sich sorgen. Aber wisst ihr, was das eigentlich lediglich wirklich ist? Die pure Neugier – ganz simples Interesse, mehr nicht. Als würden sie eine Zeitung lesen – nicht etwa, um betroffen zu sein über die Todesopfer bei Unfällen oder Anschlägen, oh nein! Einfach nur, um zu wissen, was passiert ist. Sie wollten nur ihre Nase in Angelegenheiten stecken, die sie nichts angingen, das war’s. Denn das macht ja solchen Spaß, nicht wahr? Nun, wie auch immer.

Es kam mir so vor, als warteten sie nur darauf, dass ich sprang, denn keiner unternahm irgendetwas. Sie glotzten und gafften bloß und im Nachhinein würden sie das damit entschuldigen, dass sie einen Schockzustand hatten, den sie aber eigentlich nie gehabt haben! Blödes Gesindel! Sollten sie doch alle elendig zugrunde gehen! Mir waren sie völlig egal. Keiner rief mir zu, ich soll zurückgehen oder rief mit dem Handy die Polizei an. Keiner eilte nach oben, um mich davon abzuhalten – selbst wenn es längst zu spät gewesen wäre. Wenn die Person oben angekommen wäre, so hätte sie es wenigstens versucht. Ist das nicht alles, was zählt? Scheinbar nicht … Nicht in dieser modernen Welt, meine Lieben. Sehen wir also den Tatsachen ins Auge: Jeder ist sich selbst der Nächste. Ich lächelte, weil mir so etwas erst kurz vor meinem Tod wirklich richtig klar wurde.

Dann schloss ich die Augen, atmete tief ein, ließ das Geländer los, was ich bis dahin mit beiden Händen umklammert hatte und ließ mich fallen. Ich hörte noch einige Frauen entsetzt und hysterisch kreischen – und dann gar nichts mehr. Wollt ihr nun wissen, was nach dem Tod auf euch zukommt? Danach kommt nichts! Absolut rein gar nichts! Kein Himmel, keine Hölle – kein weiteres neues Leben. Nichts! Man ist wirklich einfach weg – einfach fort! Man erlischt wie eine Kerze, wie eine Lampe, die ausgeht. Wie eine Tür, welche sich schließt, so schließt auch das Leben – und es geht keine neue Tür auf! Es gibt kein Zurück! Danach, nach dem Leben – danach kommt nichts!

(mg)