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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Freibeuter – Die Graf Mörner

Der Freibeuter
Erster Teil
Kapitel 4

Die Graf Mörner

Die Fregatte, welche des berühmten tapferen Generals und Lieblings Karls XII., des Grafen Mörner Namen trug, war eines jener berechtigten und gefürchteten Kaperschiffe, welche der kriegerische Schwedenkönig zum Schrecken seiner zahlreichen Feinde in die Nord- und Ostsee, ja sogar in den Atlantik entsandte.

Es ist bekannt, dass Karl XII. nach seinem seltsamen fünfjährigen Aufenthalt in der Türkei als ein gemeiner Kurierreiter plötzlich in Stralsund ankam und entschlossen war, kühne Pläne zu Schwedens Ruhm und Größe auszuführen. Dänemark, Russland, England und Holland hatten mehr oder weniger Gründe, sich über Karls feindseligen Sinn zu beklagen, denn der unbeugsame König hatte seinen zahlreichen Freibeutern Befehl erteilt, die Schiffe aller dieser Mächte aufzubringen und als Prisen nach Schweden zu führen.

Nach den Niederlagen, welche er durch die Dänen erlitten hatte, besonders nach dem Verlust von Stralsund, Rügen, Wismar, nach dem unglücklichen Feldzug in Norwegen und der vergeblichen Belagerung von Friedrichshall, ließ der starrsinnige Schwedenkönig noch einmal so viele Kaperschiffe ausrüsten, und wenn erst höchstens zehn die Meere durchstreift hatten, so liefen zu manchen Zeiten nun vierundzwanzig aus den schwedischen Häfen aus. Kein Fahrzeug der ihm feindlichen Mächte war sicher, Handel und Verkehr litten und Europa seufzte unter der Last dieses Kriegszustandes.

Eines der schönsten und ansehnlichsten schwedischen Kaperschiffe war die Fregatte, welche seit dem Frühling 1716 der Führung des Kapitäns John Norcroß anvertraut war. Ihr Kiel war mit den nordischen Wasserstraßen vertraut, und John Norcroß in deutschen und baltischen Meeren wie zu Hause.

Stolz stieg die Graf Mörner eines Morgens aus den Nebelmassen hervor, die zur Herbstzeit auf der Ostsee liegen. Schon flogen die obersten Hüllen flatternd um die Spieren, Masten und Rahen des majestätischen Schiffes, dessen Hauptsegel gerefft waren. Die siegreichen Strahlen der Sonne drückten die Nebel herab, in schneller Flucht eilten sie verschwindend und zerrinnend über die ruhigen Gewässer und gaben das Takelwerk und den Rumpf der Fregatte mit seinen Planken und Stückpforten den Blicken der Sonne preis. In behaglicher Ruhe schaukelte der Bau auf der sanft bewegten Meeresflut, und an den kreuzweise gegeneinandergestellten kleineren Segeln konnte man die Absicht erkennen, das Schiff auf der Stelle zu halten. Kaum aber hatten die verflogenen Nebel eine Aussicht über die Meeresfläche vergönnt, als man auf den Wink des auf dem Verdeck stehenden Kapitäns die Pfeife des Bootsmanns durch alle Räume des Schiffes schrillen hörte, und das Gewühl der Matrosen auf den Treppen, an den Kanonen, an den Tauen und Segeln, von jenen Ausrufen, die nur ein Seemannsohr gut verträgt, begleitet, über das Schiff hinbrauste, um gleich darauf einer großen Stille Platz zu machen, in welcher jeder an dem ihm gehörigen Platz des befehlenden Wortes gewärtig war.

Augenblicklich erschallte durch das Sprachrohr der Ruf: »Lasst die Segel los! Dreht das Bramsegel! Setzt noch ein Vordersegel bei! Legt euch vor den Wind und geht ins Fahrwasser!«

Nun sah man die Matrosen wie Katzen an den Tauen hinaufklettern und sich an den Rahen festklammern, und alsbald stürzte die schwere geteerte Leinwand an den Masten herab und hing, während man nur das Klappern der Taue und des Holzes hörte, schlaff herab, bis sie allmählich ein vom Meer herüberstreichender Ostwind aufblähte und der Steuermann das Schiff in den Wind brachte, welches, von diesem Morgengruß erfreut, leicht und sicher dahinschoss. Die Sonne hatte ihre siegreiche Herrschaft über die Gewässer ausgebreitet und Kapitän Norcroß ließ sich, rüstig und frohen Mutes über das Verdeck schreitend, von ihren Strahlen bescheinen und vom frischen Morgenhauch umwehen. Des Kapitäns Anzug war von dem, welchen er im Kaffeehaus in Hamburg getragen hatte, so verschieden, dass man ihn schwerlich würde wieder erkannt haben, wenn nicht sein ausgezeichnetes Gesicht alle übrigen Äußerlichkeiten entbehrlich gemacht hätte. Über die unscheinbaren großen Schnallen seiner breiten Laschenschuhe hing die weite gestreifte Matrosenhose. Um den dunkelgrünen Rock war über den Hüften die rote Tuchschärpe gebunden, welche ihn als Befehlshaber der Fregatte kenntlich machte. An der Seite steckte der kurze Degen, welchen nur Seeoffiziere zu tragen pflegen. Das schwarze Halstuch hing weit geknüpft um den Hals, auf dessen weißen Hemdkragen sich statt der Perücke die natürlichen Locken eines glänzenden braunen Haares herabringelten. Leicht darauf gestülpt war die lederne Seemannskappe, die den dreieckigen Hut verdrängt hatte. Unter dem Arm hielt er das Sprachrohr und sein scharfes Auge überblickte mal die Meerfläche, mal die kräftigen Burschen, die in geteerten Jacken umhersprangen und dem jungen Tag ihre Freude entgegen jubelten.

»Ausguck! Schläfst du, Kerl? Siehst du nichts?«, rief der Kapitän der im Mastkorb sitzenden Wache zu.

»Es schwebt backbord, Süd-West-Süd am Horizont, wie eine Möwe«, versetzte eine jugendliche Stimme von oben.

»Haben sie dich wieder hinaufgesteckt, kleine Wasserratte?«, fragte der Kapitän. »Leutnant Gad, wie kommt es, dass Juel Swale wiederum im Korb sitzt? Ich habe es doch ausdrücklich verboten«, rief er dem am Gangspill stehenden Leutnant zu.

»Ich weiß eben so wenig wie Ihr davon«, versetzte Gad.

»Die Kröte hat sich angebettelt«, sagte der Steuermann, der nicht weit von beiden seinen Platz hatte. »Lässt doch der Seekrebs den Matrosen keine Ruhe, bis sie ihm die Wache auf dem Mars abgetreten haben. Und wenn Ihr denkt, er träumt in seiner Hängematte von den Honigfladen seiner Mutter, klettert er wie eine wilde Katze durch das Tauwerk, reitet auf den Rahen und schaukelt sich im Korb. Er ist ein Teufelsjunge und macht euch schon einen Timmerstich, wie jeder Bursche, der zehn Jahre Seeluft geschluckt hat. Gerade wie ich, in diesem Alter! Drum hab’ ich auch den Jungen ins Herz geschlossen, als ob er mein eigenes Kind wäre, und Ebbe Reetz hat noch keinen verderben gesehen, dem er seine Gunst geschenkt hatte.«

Nach dieser Expektoration zugunsten des Schiffsjungen Juel Swale versank die Stimme des Steuermanns, indem er seine breiten knorrigen Hände an das Steuer legte, wieder in jene abgerissenen Töne, mit welchen er gewöhnlich sein Steuer wie ein lebendes und verständiges Wesen, wohl auch das Schiff selbst und die rollenden Wellen des Meeres anredete.

»Eure Neigung, Meister Reetz, trifft mit der meinen zusammen«, sagte der Kapitän mit herablassender Würde. »Auch ich bin dem Buben gewogen, und hoffe, einen tüchtigen Seemann aus ihm zu erziehen. Aber meine Hoffnung wird einmal mit ihm nächtlicherweise aus dem Tauwerk herab den Hals auf dem Hackebord brechen oder im Meer ersaufen. – Siehst du noch nichts weiter, Teufelsjunge?«, rief Norcroß dem jungen Ausgucker abermals zu.

»Es scheint mir, als ob sich die Möwe in ein Segel verwandelt. Ja, es ist ein Boot mit einem Rahsegel.«

Der Kapitän nahm das Glas und sah in die angegebene Richtung. »Der Junge hat recht, und Augen wie ein Falke. Er weiß wohl, dass er am besten in den Mastkorb passt. Drum sitzt er auch immer oben, wie ein Adler auf seinem Horst. Sie sind’s und stechen dem Wind Steuerbord in die Flanken. Sie haben Not gegen die Meeresflut zu werpen und werden die Riemen wacker streichen müssen. Wendet Backbord, Meister Reetz, und fallt etwas vom Winde ab. Wir wollen den Burschen Mühe ersparen.«

Im Nu wurden die Befehle befolgt, und langsam glitt das Schiff, die Strömung der Meereswellen in schräger Richtung durchschneidend, der Himmelsgegend zu, in deren Strich das Boot wahrgenommen wurde. Nach einer Viertelstunde waren die beiden Fahrzeuge einander nahe, und der Oberbootsmann bot vom kleinen Fahrzeug herüber seinem Kapitän auf dem großen einen guten Morgen.

Die Fallreeptreppe wurde von der Fregatte hinabgelassen, und die Seeleute stiegen aus dem Boot, nachdem dieses am Schlepptau befestigt worden war, auf die Fregatte. Dort fanden erst jene umständlichen Begrüßungen statt, von welchen man damals noch, aus Furcht, etwas an Respekt zu verlieren, der doch zur Erhaltung der Manneszucht und guten Ordnung so unumgänglich nötig war, kein Haarbreit abweichen zu dürfen glaubte.

Als die Zeremonien vorüber waren, sprach der Kapitän den angekommenen Bootsmann an: »Ihr habt auf Euch warten lasten, Meister Pehrsohn, und während Eurer Abwesenheit haben wir bereits eine gute Prise gemacht. Ein russischer Kutter, der vor Kurzem in den Hafen von Kopenhagen einzulaufen gedachte, kam uns vor den Schnabel, indem er sich aus Vorsicht weit von den schwedischen Küsten und den deutschen nahe hielt. Und gerade diese Vorsicht führte mir den stämmigen Burschen zu, der anfangs sich anstellte, als wollte er sich sehr wehren, nachher aber, als ich ihm eine volle Ladung hatte geben lassen, die Flügel um so schneller hängen ließ. Es war ein guter Fang und ist bereits nach Stockholm abgeführt.«

»Gratuliere!«, versetzte der Bootsmann. »So uns der Himmel heute noch mit Wind und Wetter verschont und seine Sonne scheinen lässt, so denk’ ich, unseres allergnädigsten Königs Majestät soll diesen Abend auch um einen neuen dänischen Schoner reicher sein, ein Schiffchen so nett und blank, wie ein gesottenes Ei, wenn man es aus der Schale löst. Sein Segeltuch ist erst vom Webestuhl herab, und an seinen Rippen und Planken kann man noch alle Nägelköpfe zählen. Nicht zu verachten sind auch die Burschen, die in die dänischen Kasernen geführt werden sollen. Ich denke, sie sind gut für unseren tapferen König, und mancher ist dabei, der schon sein Seising knüpfen, Segel reffen, Rahen brassen und mit Lot und Anker umgehen lernte. Ich denke, wir können manchen brauchen, Kapitän.«

»Wenn sie sonst keine Maulwürfe sind, so sollen sie gutes Leben bei uns haben, Meister Pehrsohn«, versetzte der Kapitän. »Doch erstattet mir Bericht über Eure Expedition.«

»Wir legten, wie Ihr befohlen, zwei Meilen nördlich von Travemünde an und versteckten unser Boot hinter Fels und Schilf. Gegen Abend schlich ich mich mit Jonas Bök in den Hafen. Wir fanden den Schoner, aber die Rekruten noch nicht. Doch erfuhren wir noch in der Nacht auf der Streu von einem alten Bootsknecht, dass sie täglich erwartet würden. Wir trieben uns am Tage umher, und gaben vor, wir suchten Dienste. Die Plattköpfe vertrösteten uns auf die Rekruten und meinten, wir würden wohl Handgeld erhalten. Gestern Nachmittag kamen die Burschen richtig anmarschiert, und ich nahm sie mir in Augenschein. Jungen, schlank und stark wie ein Reefseising, und ausgetakelt, dass mir das Herz im Leibe lachte. Wir machten uns noch gestern Abend auf und davon und stachen in See. Meine Jungen mussten die Nacht hindurch die Riemenblätter streichen, dass ihnen der Atem schier ausging. Da uns aber der Wind nicht günstig war, so hatten wir unsere liebe Not. Diesen Morgen ist der Schoner ausgelaufen – so war’s gestern Abend beschlossen – und muss, wenn der Wind nicht abfällt, gegen Mittag in unserer Nähe sein.«

»Ist der Schoner gut besetzt?«

»Er hatte eine Reihe Zähne, deren jeder aber nicht mehr als zwölf bis sechzehn Pfund verarbeitet. Das Schiffsvolk scheint mir eben nicht aus Helden zu bestehen, und der Leutnant, der das Schiffchen fährt, ist ein alter Mann. Wenn ich so gewiss Schout by Nacht der königlich schwedischen Flotte wäre, wenn der Schoner unser ist, so wollt’ ich mich diesen Morgen noch einrichten, die schwedische Seemacht gen Rügen und Stralsund zu führen, um beides den dänischen Katzen wieder aus den Zähnen zu reißen.«

Nach dieser Versicherung des handfesten Oberbootsmannes gab der Kaperkapitän die Befehle zur Bekämpfung eines feindlichen Schiffes. Die Kanonen wurden losgekettet und geladen, die Schotten gerückt, die Matrosen durch die gellende Bootsmannspfeife an ihre Plätze gerufen, die Wache im Mastkorb abgelöst. Das Schiff begann jenen geschickten Lauf, welchen man in der Schiffssprache mit »kreuzen« bezeichnet. So bestreifte die Fregatte eine geraume Fläche des Meeres, welches die dänischen Inseln, die Südspitze von Schweden und mecklenburgischen Küsten bespült, und hielt, bald von Ost nach Südwest, bald von West nach Nordost steuernd, die Straße von Lübeck zum Sund besetzt. Zuweilen kam es den Inseln Falster und Möen so nahe, dass man in der Ferne die Ufer derselben erblicken konnte.