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Der Welt-Detektiv Band 6

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Das Geheimnis zweier Ozeane 35

Drittes Buch
Zehntes Kapitel
Auf der Suche nach Strom

Im Laufe der Nacht berechnete der Kapitän die Dauer der noch auszuführenden Arbeiten. Jetzt verlief alles planmäßig und ohne Verzögerung. Am 19. August, also nach drei Tagen, würde das U-Boot die Höhle verlassen und seine Fahrt zu den Küsten des sowjetischen Primorje-Bezirkes fortsetzen können. Aber dieser Tag war auch der allerletzte Termin, sonst würde man am 23. August Wladiwostok nicht erreichen. Von der Osterinsel musste das Schiff noch fünfzehntausend Kilometer zurücklegen. Genau hundert Stunden musste das U-Boot mit voller Kraft fahren, um diese große Strecke zu bewältigen. Und nur dann, wenn es gelang, nicht später als um sechs Uhr früh des 19. August auszulaufen, konnte die Pionier rechtzeitig vor Wladiwostok erscheinen. Eine unvorhergesehene Verzögerung von nur acht oder zehn Stunden würde alle Hoffnungen zunichtemachen. Die ganze aufopferungsvolle Arbeit der Schiffsbesatzung wäre dann vergeblich gewesen.

Der Kapitän runzelte die Stirn. Die Instandsetzungsarbeiten dürfen nicht so lange dauern! Ich brauche Zeitreserven!, dachte er. Wir müssen noch schneller arbeiten, damit wir wenigstens noch diese acht oder zehn Stunden haben, wenn während der Fahrt etwas Unvorhergesehenes passiert. Aber was konnte man noch von der Schiffsbesatzung verlangen, die kaum Schlaf und Erholung kannte?

Der Kapitän wusste keinen Ausweg. Die kostbaren Stunden der kurzen Nachtruhe verbrachte er grübelnd in seiner Kajüte. Als er nach dem Wecken das U-Boot verließ, waren  J seine Augen von der schlaflosen Nacht entzündet. Er spornte die Männer, die noch schlaftrunken und müde waren, zur Eile an. Als er Skworeschnjas Leistung sah, die dieser in der letzten Nacht vollbracht hatte, empfand er eine große Freude.

Skworeschnja hatte vor dem U-Boot Nachtwache gehabt. Er sollte die Elektrowinde beaufsichtigen, die den Düsenring aufs Heck zog. An der Winde war im Grunde genommen nichts zu tun gewesen, und so war Skworeschnja darangegangen, die Außenwand des Hecks von den erstarrten metallenen Höckern und anderen Unebenheiten zu reinigen, die sich darauf gebildet hatten, als der Düsenring durch die Explosion von seinem Platz gerissen wurde. Diese Arbeit war sehr schwer und ermüdend.

Kurz vor dem Wecken war der Düsenring schon ganz nah an seinen Platz herangezogen und konnte bald aufgesetzt werden. Aber im Innern des Ringes befanden sich noch viele scharfkantige Gasrohrbruchstücke, die entfernt werden mussten.

Als Kornejew nach langem Suchen den Kapitän fand, dem er Marats und Pawliks bevorstehenden Einsatz mit der Kabelbatterie melden wollte, war der U-Boot-Kommandant bei Skworeschnja.

»Wie viel Zeit braucht Marat noch zur Instandsetzung des Steuerpultes?«, fragte der Kapitän.

»Etwa sieben bis acht Stunden.«

»Hilft Pawlik ihm?«

‚‚Ja.«

»Teilen Sie beiden mit, dass ich sie sehr bitte, diese Arbeit so schnell wie nur möglich zu beenden. Erst dann können sie mit der Kabelbatterie losgehen. Nach einer halben Stunde suchen Sie mich bitte mit Oberleutnant Bogrow, Professor Lordkipanidse, Tschishow, Sjomin und Kosyrew in meiner Kajüte auf. Ich möchte sie alle über die Lage informieren.«

Um elf Uhr eilte Marat zu Kornejew, um ihm die Instandsetzung des Steuerpultes und des Kabelnetzes zu melden – drei Stunden früher, als es vorgesehen war.

Er fand den Elektroingenieur in der Elektrolysekammer. Kornejew arbeitete unter einer Wanne. Man sah nur seine Beine herausragen.

»Gut«, sagte er, als er Marats Meldung und seine ungeduldige Bitte wegen der Kabelbatterie angehört hatte. »Melde es selber dem Kapitän – ich habe keine Zeit.«

Den Kapitän fand Marat in der Gasrohrkammer, wo er mit Kosyrews Männern Rohrbruchstücke entfernte, die aus der inneren Scheidewand herausragten. Um dahin zu gelangen, musste man fast akrobatisches Geschick entwickeln.

»Ich danke Ihnen, Marat!«, sagte der Kapitän. »Übermitteln Sie auch Pawlik, der Ihnen geholfen hat, meinen Dank. Gehen Sie jetzt erst Mittag essen und ruhen Sie sich danach etwas aus. Dann können Sie mit Pawlik das U-Boot verlassen. Wie viel Zeit werden Sie für die Aktion mit der Kabelbatterie brauchen?«

»Ich denke, an die sechs oder sieben Stunden, Genosse Kommandant. Ich weiß aber noch nicht, ob der Berghang gut begehbar ist.«

»So … natürlich. Auf jeden Fall beeilen Sie sich, wir brauchen Sie noch hier. Bleiben Sie in Verbindung mit dem U-Boot. Viel Erfolg! Grüßen Sie Pawlik von mir und passen Sie gut auf ihn auf!«

Marat wusste nur zu gut, wie schwierig die Aufgabe war, mit der man ihn betraut hatte, und befolgte daher die Empfehlung des Kapitäns, sich noch etwas auszuruhen. Krutizki war schon von ihm informiert worden, wie die Gefäße an der Kabelbatterie zu befestigen seien. Nach der Mittagspause holten Marat, Krutizki und Pawlik die Gefäße vom Lagerraum, trugen sie zur Trommel mit der Kabelbatterie und machten sie zur Befestigung fertig. Nach dieser Arbeit, um sechzehn Uhr, standen Marat und Pawlik in voller Ausrüstung in der Druckkammer. Im letzten Augenblick kam Schelawin hereingestürzt und steckte Marat ein Bathymeter zu.

»Ich bitte Sie sehr, Marat … Das wird Sie bestimmt nicht aufhalten. Eine kleine Wasserprobe nur, aus der Tiefe!«

Gleich darauf erschien auch der Zoologe, führte Pawlik zur Seite und flüsterte etwas verlegen: »Wenn dir etwas Interessantes über den Weg kommt, Pawlik, denke an mich. Bring es mir mit. Natürlich nur, wenn du dazu kommst … Also, denk daran …«

Schon einige Minuten später schritten Marat und Pawlik über den Hang. Auf dem Rücken trugen sie das Ende der Kabelbatterie, das einer riesigen Tulpenknospe ähnlich sah.

Langsam, aber stetig beschleunigte sich das Arbeitstempo auf dem U-Boot. Das Beispiel der Brigadeführer und des Kapitäns spornte die Männer an. Nicht wenig trug auch der Zoologe dazu bei. Er hatte eine neue Vitaminmischung zusammengestellt, die dem Kakao beigegeben wurde. In dieser Mischung war auch das vor Kurzem entdeckte Vitamin KL 2 enthalten. Dieses »Lebenswasser«, wie Lordkipanidses Trank von Romejko benannt wurde, beseitigte die Müdigkeit, hob die Stimmung und steigerte die Arbeitskraft. Der Schiffskoch Belogolowy musste auf Anordnung des Zoologen alle zwei Stunden jedem Mann eine Tasse dieses Tranks reichen und passte auf, dass die Tasse vor seinen Augen geleert wurde.

Auch Leutnant Krawzow machte sich nützlich. Er durfte aufstehen, sich bewegen, lesen und schreiben. Obgleich sein Gesundheitszustand immer besser wurde, hatte sich sein Wesen völlig gewandelt. Der früher so lustige, zu Scherzen aufgelegte und auf sein Äußeres bedachte Leutnant lag stundenlang blass und unrasiert auf seiner Koje und schien von quälenden Gedanken gepeinigt zu werden. Manchmal stöhnte er auf und warf sich unruhig von einer Seite auf die andere, stand auf, setzte sich in einen Sessel und kehrte zur Koje zurück. Heute, als er von Lordkipanidse erfahren hatte, wie fieberhaft auf dem U-Boot gearbeitet wurde, bat er den Zoologen mit stockender Stimme, für ihn beim Kapitän die Erlaubnis zur Ablösung des Oberleutnants im Steuerraum zu erwirken. Viel zu tun gäbe es dort sowieso nicht, jedenfalls sei die Arbeit dort nicht schwer. Man musste die Funkverbindung mit allen Räumen des U-Bootes und mit den im Meer Arbeitenden aufrechterhalten, den Infrarot-Aufklärer einsetzen, den Bildschirm beobachten und dann noch die Arbeitsmeldungen der Brigaden entgegennehmen und notieren. Das wäre alles nicht so schlimm, zudem könnte der Oberleutnant frei werden und anderswo tätig sein. Oberleutnant Bogrow setzte sich für Krawzow ein, und der Kapitän gab seine Einwilligung. Als der Zoologe dem Leutnant die Erlaubnis des Kapitäns überbrachte, erhellte sich Krawzows Gesicht. In aller Eile rasierte er sich und zog seine Uniform an.

Mit schnellen Schritten betrat er den Steuerraum. Der Oberleutnant eilte sofort zu den Elektrotechnikern, um die Lücke, die durch Marats und Pawliks Abwesenheit entstanden war, auszufüllen.

Um zwanzig Uhr erstattete der Leutnant dem Kapitän Meldung über den Gang der Arbeiten. Der Kapitän war außer sich vor Freude. Die Leistungen waren hervorragend.

»Haben Sie Verbindung mit Marat, Genosse Leutnant?«

»Jede Stunde. Er meldete, dass alles in Ordnung sei. Ein paar kleine Hindernisse unterwegs haben sie schnell überwunden. Zurzeit befinden sich beide in elfhundert Meter Tiefe. Die Wassertemperatur beträgt viereinhalb Grad über null.«

»Ausgezeichnet! Bald werden sie wohl zweieinhalb Grad messen können und kehren dann zurück. Tüchtige Jungens! Und wie geht es Ihnen?«

»Danke sehr, Genosse Kommandant! Mir geht es glänzend. Arbeit ist die beste Medizin!«

Um dreiundzwanzig Uhr wurde bekannt, dass die Elektrotechniker den Tauchtankantrieb instand gesetzt hatten. Tauchtanks, Pumpen und die Ventilatoren arbeiteten wieder. Die Düsenbrigade erfuhr davon schon, als sie bei der Überprüfung der Manövrierfähigkeit des U-Bootes zusammen mit diesem plötzlich auf- und niedertauchte. Auf dem Heck der Pionier wurden diese Manöver mit einem dumpfen, eiligen »Hurra« begrüßt. Auch bei den Düsenmännern stand der entscheidende Augenblick bevor. Das Aufsetzen des Düsenringes an seinen Platz war bald beendet, und er brauchte nur noch mit dem Schiffskörper zusammengeschweißt zu werden.

Ein paar Minuten vor Mitternacht saß der Ring an der richtigen Stelle. Die Männer gingen an Bord.

In der besten Laune, die Kabelbatterie auf der Schulter, stapften Marat und Pawlik den sanft abfallenden Hang hinunter. Sie befanden sich in etwa tausend Meter Tiefe. Marat schritt voran, Pawlik folgte ihm in zehn Meter Entfernung.

Der Weg war bequem. Der schwierigste Teil lag bereits hinter ihnen. Bei den ersten achthundert Metern über den ziemlich steilen Hang mussten sie Felsen umgehen und vorsichtig in breite Spalte hinabsteigen und wieder hochklettern. Erstarrte Lavaströme, hier und dort ein Seelilien- oder Polypengewirr erschwerten das Vordringen. Jetzt breitete sich vor den beiden Freunden ein licht abfallender, bequem beschreitbarer Hang aus. Hinter ihnen her glitt leicht wie eine dünne biegsame Schlange, mit den weißen Blüten der festgebundenen Schwimmgefäße auf dem Rücken, den Meeresboden kaum berührend, die schwarze Kabelbatterie. Kleine Schlammwölkchen kennzeichneten ihren Weg.

»Müssen wir noch lange gehen, um zweieinhalb Grad zu finden?«, fragte schließlich Pawlik.

»Das weiß ich nicht! Vielleicht ist hier irgendwo in der Nähe eine Schlucht, und wir erreichen bald eine größere Tiefe.«

Einige Zeit gingen beide schweigend weiter. Das U-Boot meldete sich. Marat teilte Leutnant Krawzow mit, sie befänden sich in einer Tiefe von zwölfhundert Metern, die Wassertemperatur betrage etwa vier Grad, und bisher verlaufe alles reibungslos.

Der Hang begann bald so steil abzufallen, dass Marat und Pawlik Mühe hatten, ihre Schritte zu hemmen. Dieser schwierige Abstieg endete in einer Tiefe von eintausendneunhundert Metern, und ganz plötzlich änderte sich auch die Umgebung. Wieder türmten sich überall Felsen, überwuchert von Seelilien, Schwämmen, Aszidien, Gorgonien und Polypen; manchmal waren sie auch völlig kahl. Zwischen und über den Felsen tummelten sich Schwärme bunter Fische; Diademe und Girlanden phosphoreszierender Pünktchen blinkten auf.

»Nun, Pawlik«, meinte Marat, aufs Thermometer blickend, »wir sind jetzt da. Die Temperatur ist auf zweieinhalb Grad über null gesunken. Nun können wir die Kabelbatterie in Betrieb setzen … und dann geht’s schnell zurück!«

»Es wird auch Zeit«, antwortete Pawlik. »Offen gestanden, ich bin sehr müde.«

»Ein wenig Geduld nur noch, denn den Stromempfänger direkt auf den Schlamm zu legen, taugt nichts. Gehen wir noch ein Stückchen weiter und suchen wir uns ein passendes Felsstück aus.«

Ein geeignetes flaches Trümmerstück fand sich bald am Fuße eines großen Felsens. Der Stromempfänger wurde vorsichtig darauf niedergelegt.

»Uff!«, seufzte Pawlik erleichtert. »Schwer war es nicht, aber trotzdem schmerzt der Rücken.«

»Wir machen jetzt eine kleine Ruhepause und essen etwas«, schlug Marat vor. »Ich bin tüchtig hungrig geworden.«

Die beiden Taucher setzten sich auf einen Stein neben der Kabelbatterie, lehnten sich mit dem Rücken gegen den Felsen und tranken schweigend ihren Kakao. Der Lichtkegel ihrer Stirnlaternen erhellte ein düsteres Panorama. Zahllose Polypenstöcke, Schatten, die sich über dem Meeresboden und auf den wild zerklüfteten Felsen bewegten, hin und wieder in der Dunkelheit über ihnen aufleuchtende Punkte und Flecke ließen vermuten, dass hier in der Tiefe ein regeres Leben herrschte als in den oberen Wasserschichten.

»Schluss jetzt, Pawlik! Es wird Zeit zurückzukehren«, sagte Marat, sich langsam erhebend. Man merkte, er wäre noch gern etwas sitzen geblieben.

Kaum hatte er sich erhoben und die müden Glieder gereckt, als der Felsen, an den sie sich vorhin gelehnt hatten, wankte und umstürzte. Marat und Pawlik sprangen im letzten Moment zur Seite, aber der Stromempfänger der Kabelbatterie lag unter dem Felsen begraben. Marat war verzweifelt. Er konnte sich seine Nachlässigkeit nicht verzeihen. Zwei Stunden lang versuchte er gemeinsam mit Pawlik, den riesigen Felsen fortzuwälzen, doch ohne Erfolg. Mehr Zeit durfte man nicht verlieren, und der Kapitän schickte Skworeschnja. Erst mit seiner Hilfe gelang es, den Felsen vom Stromempfänger der Kabelbatterie wegzurollen. Der Empfänger war zum Glück unbeschädigt und wurde sofort in Betrieb gesetzt.