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Der Welt-Detektiv Band 6

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Das Geheimnis zweier Ozeane 31

Drittes Buch
Sechstes Kapitel
An Bord eines Kreuzers

Die tropische Sonne hatte schon längst den Zenit überschritten, brannte aber noch immer mit unverminderter Glut. Der Himmel war klar und wolkenlos, eine Brise kräuselte die Oberfläche des Ozeans.

Schon zwölf Stunden jagte Gorelow durch die unendliche Wasserwüste und spähte, Verzweiflung in den Augen, zum öden Horizont.

Er rang nach Atem. Der durchsichtige Helm war glühend heiß geworden, jede Berührung der Stirn oder Wange mit seiner inneren Wandung brannte wie Feuer. Viele Hundert Kilometer hatte er schon in den letzten zwölf Stunden, seit der Explosion auf dem U-Boot, kreuz und quer durch den Ozean zurückgelegt. Als ein kleines Pünktchen in den unendlichen Weiten des Weltmeers kämpfte er verzweifelt um sein Leben. Stunden voller Qual und Hoffnungslosigkeit vergingen in fieberhaftem und planlosem Dahinjagen bald in diese, bald in jene Himmelsrichtung. Gorelow wurde von Hunger und Durst gequält, aber schon der Gedanke an seinen Kakao rief Ekel in ihm hervor, und mit dem kümmerlichen Wasserrest in der anderen Thermosflasche musste er sparsam sein. Wie lange noch würde das bisschen reichen? Er war zu leichtsinnig damit umgegangen. Nun raubte ihm der Durst fast den Verstand, sein Kopf glühte. Er müsste öfter Kühlung in den Tiefen suchen, aber dann würde er das rettende Schiff nicht entdecken – das wäre furchtbar!

Und Gorelow verminderte nicht sein rasendes Schwimmtempo unter den unerbittlichen Strahlen der Sonne. Wie schrecklich die Hitze auch war, Gorelow sah doch mit Angst, wie die Sonne sich immer mehr dem westlichen Horizont näherte. Solange sie noch im flimmernden Glast am Himmel stand, war Hoffnung vorhanden; die Nacht aber würde das Ende bringen. Sie zu überleben, konnte Gorelow nicht mehr hoffen. Der Strom in den Akkus würde nicht reichen – das Schlimmste aber träte ein, wenn der Sauerstoff zu Ende ginge. Das bedeutete den Tod, den unabwendbaren Tod – es sei denn, der Wind hörte ganz auf, der Ozean glättete sich … Aber auch dann würde er ohne Strom hilflos auf dem Wasser treiben …

Der Kopf schmerzte, die Lippen waren ausgedörrt. Gorelow nahm einen winzigen Schluck Wasser, tauchte ein paar Dutzend Meter tief und strebte, kaum etwas erfrischt, wieder zur Meeresoberfläche empor. Der Horizont war nach wie vor öde und leer. Der Ingenieur änderte wieder seine Schwimmrichtung, die Wellen überspülten jetzt pausenlos seinen Taucherhelm, und die Sicht war schlecht. Zwar wurde der Helm von den Wellen gekühlt, und es war leichter, die Hitze zu ertragen, aber es war unangenehm, nicht sehen zu können.

Die Sonne bewegte sich unaufhaltsam nach Westen. Bis zur Nacht waren es jetzt nur noch vier Stunden. Vier kurze Stunden, denen die Dunkelheit folgen würde! In den Tropen gibt es keine Dämmerung, die Nacht schließt sich fast sofort dem Tage an. Würde er diese Nacht überleben – oder eines qualvollen Todes sterben? Was hätte dann alles für einen Sinn gehabt? Wozu wäre diese lange Kette des Verrats und der Lüge nötig gewesen? Wofür hatte er achtundzwanzig Menschen geopfert? Anna! Anna! Er sah in Gedanken ihr schönes, hochmütiges Gesicht. Warum hatte er sie damals nicht gleich mit in die Heimat genommen? Dieser verwünschte Alte, diese Kreatur Majedas! Gekauft hatten sie ihn mit schnödem Gold. Anna war anspruchsvoll, sie liebte Schmuck und schöne Kleider. Sie wollte das Leben einer reichen, verwöhnten Frau führen. Nein, niemals wäre sie ihm in die Heimat gefolgt. Dort musste man arbeiten! Er liebte Anna! Er konnte nicht auf sie verzichten. Ahnte sie, wie es ihm jetzt erging? Er opferte sein Leben für sie … hatte das alles einen Sinn?

Mit leeren Augen starrte der einsame Schwimmer vor sich hin. Die Wellen schlugen über ihm zusammen; wie durch einen Schleier, gespenstisch und unwirklich, sah er die Gesichter der lebenslustigen, lachenden Menschen, in deren Mitte er noch vor einigen Stunden an Bord der Pionier geweilt hatte. Da war der liebenswerte Kapitän Woronzow, der sich nachdenklich über das Bärtchen strich. Da waren der lebhafte Marat mit der ungebärdigen Haarsträhne über dem Scheitel, der gutmütige Riese Skworeschnja, der zutrauliche Lord und der treuherzige, ewig aufgeregte Schelawin. Schelawin, der ihm, Gorelow, das Leben gerettet hatte! Wie vergalt er es ihm? Gorelow sah Pawlik lachen … Pawlik, der einem immer in die Quere kommen musste. Da war auch Leutnant Krawzow, breitgesichtig und mit Koteletten. Ein Dummkopf! Kannte das Dienstreglement nicht! Ein Schwätzer! Ein hohler Stutzer! Hatte ihn aus dem U-Boot herausgelassen! War wie ein Gimpel auf den Leim gegangen! Zweifelsohne hatte der Kapitän verboten, ihn ohne besondere Erlaubnis von Bord gehen zu lassen. Er hatte ja schon lange gefühlt, dass man ihm misstraute, dass man ihn verdächtigte. Wenn ihm dieser Einfaltspinsel keinen Passierschein gegeben hätte, wäre vielleicht alles anders gekommen … Unsinn! Die Uhr war bereits aufgezogen gewesen, der Schließmechanismus der Gaskammertür beschädigt. Nichts hätte mehr die Vernichtung aufhalten können. – Und jetzt sank die Sonne immer tiefer, und mit ihr versank auch in der Finsternis sein, Gorelows Leben …

Er rang nach Luft. In seinem Hirn jagten sich wie Schemen verworrene Gedanken. Er nahm zwei Schlucke des kostbaren Wassers, fühlte sich aber nicht erfrischt. Ihm wurde schlecht. Angst packte ihn. Gorelow ließ die Schraube an und wurde durch den plötzlichen Auftrieb fast einen halben Meter über das Wasser emporgehoben. Er blickte rasch um sich. Der Ozean war nach wie vor leer.

Gorelow musste wieder nach Atem ringen, die Luft wurde knapp … Nein, Luft war schon da, aber zu wenig Sauerstoff … Sauerstoff …? Krutizki! So ein Schurke! Hatte er etwa den Taucheranzug mit komprimiertem, statt mit flüssigem Sauerstoff versehen? Oh, dieser Verräter! – Verräter? Ausgerechnet er, Gorelow, musste dies sagen! Jetzt kam das Ende! Nicht einmal bis zum Sonnenuntergang würde der Sauerstoff reichen. Nein! Nein! Wenn auch der Wind brauste und die Wellen schäumten – es musste versucht werden … Selbst auf die Gefahr hin, dass man ertrank …

Dem Ersticken nahe, mit dunkelrotem Gesicht und hervor quellenden Augen schlug Gorelow wild um sich und versuchte, sich während des Schwimmens auf den Rücken zu werfen. Die Schraube stillzulegen, hatte er Angst. Er fürchtete, dann abzusinken. Nur ein einziger Rettungsweg blieb ihm noch offen.

Gorelow spreizte die Beine und versuchte, die Rückenlage beizubehalten. Mit zitternden Händen zog er aus einer Hülse am Steuergerät die an einer langen dünnen Schnur hängende Kupfernadel heraus und führte sie langsam zur Brust, zur Mittelnaht des Taucheranzuges. Mit krampfhaft zuckenden Fingern suchte er diese Naht – und fand sie nicht. Vor seinen Augen wurde es dunkel, die Brust hob und senkte sich keuchend. Sein Gesicht lief blau an. Die Hand mit der Nadel erstarrte.

In einem fernen Winkel des schwindenden Bewusstseins klang ein leises, kaum hörbares Summen auf. Es kam näher, schwoll an, verwandelte sich in ein lautes Dröhnen und Brausen und riss dann ganz plötzlich ab.

Gorelow verlor das Bewusstsein.

 

Der Offizier sprach mit ausgesuchter Höflichkeit, sein Englisch war tadellos.

»Leutnant Chassegawa hat sich nicht wenig bemühen müssen, und wir sprechen ihm für den so günstigen Ausgang seines Aufklärungsfluges unseren Dank aus; unter der Vielzahl der Flugboote, die täglich riesige Strecken über den Ozean flogen, war seine Maschine die vom Erfolg gekrönte.«

Einer der Offiziere, die um eine Koje standen, verneigte sich tief.

»Aber auch anderen haben Sie eine harte Nuss zu knacken gegeben«, fuhr der Offizier, der neben der Koje saß, fort. Ein kaum merkliches, verbindliches Lächeln lag auf seinem gelblichen Gesicht mit den stark hervortretenden Backenknochen. In seinen schräg gestellten Augen hinter einer großen Hornbrille leuchtete für einen Augenblick Genugtuung auf. »Wir mussten Sie aus Ihrer verzauberten Ritterrüstung befreien und Ihnen wieder Leben einhauchen. Jawohl, Leben einhauchen; denn alles sprach dafür, dass Sie schon sehr lange ohne Bewusstsein waren. Zunächst musste sich unser Elektroingenieur, Major Jasuguro Aidsawa, mit Ihnen befassen. Sie selbst hatten ihm einen Hinweis gegeben, was er tun sollte. In der geballten Faust hielten Sie eine kupferne Nadel direkt vor der Brustnaht des Taucheranzuges. Den Rest besorgte unser Magier und Zauberer, Dr. Sudzuki, der nach zweistündigen Bemühungen, mithilfe wunderwirkender Spritzen, Ihr Herz wieder zum Schlagen brachte. Ich freue mich sehr, Mr. Krok, Sie wiederzusehen, und schätze mich glücklich, Sie als Gast auf meinem Schiff begrüßen zu dürfen. Ein Wiedersehen mit einem alten Freund ist, wie man in meinem Lande sagt, vom Duft der Kirschblüte umweht. Ihre erste Meldung habe ich noch gestern an unser Flottenkommando gefunkt. Und jetzt ruhen Sie und sammeln Sie neue Kräfte. Wenn Sie gestatten, werde ich Sie morgen wieder besuchen, und wir unterhalten uns dann über die Einzelheiten Ihrer außergewöhnlichen Heldentat. Wir wünschen Ihnen, Mr. Krok, recht baldige Genesung.«

Kapitän Majeda erhob sich und streckte Gorelow seine Hand entgegen.

Seit dem letzten bemerkenswerten Gespräch mit Gorelow und seiner eigenen Verhaftung hatte der Kapitän viel an Selbstsicherheit eingebüßt. Der Marineattaché einer Großmacht, der so unrühmlich von den Sicherheitsorganen der Sowjetregierung verhaftet wurde, war nur aus diplomatischen Gründen wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Die Regierung seines Landes, das sich als Beherrscherin des Fernen Ostens und der asiatischen Meere betrachtete, hatte ihren kompromittierten Marineattaché zurückberufen. Der Befehl über einen Kreuzer, der die Verbindung mit Gorelow aufrechterhalten und das U-Boot beobachten sollte, war, ungeachtet der Wichtigkeit des Auftrages, eine offensichtliche Degradierung Kapitän Majedas.

Gorelow drückte schwach die Hand des Kapitäns und sagte leise:

»Ich bin Ihnen unendlich dankbar, Kapitän … ich werde die Namen meiner Retter nie vergessen. Fliegerleutnant Chassegawa… Major Aidsawa … und Dr. Sudzuki danke ich sehr für ihre Mühe..

Kapitän Majeda und seine Begleiter verließen das Schiffslazarett. Gorelow lehnte sich in das schneeweiße Kissen zurück und schloss die Augen.

Von dem Augenblick an, als der bewusstlose Gorelow an Bord des Kreuzers gebracht worden war, wurde er mit außerordentlicher Aufmerksamkeit umsorgt. Kapitän Majeda hatte nicht übertrieben: Es war nicht einfach gewesen, Gorelow zu retten. Aber Kapitän Majeda hatte wohlweislich verschwiegen, dass das Flottenkommando seine weitere Karriere eindeutig von der Auffindung Gorelows abhängig gemacht hatte. Das Gespenst des Harakiri1 bedrohte den Kapitän während der zwanzig Stunden, in denen man versuchte, Gorelow aus dem Taucheranzug zu befreien und seinen starren Körper wieder zu beleben. Kapitän Majeda hätte allen Grund, Major Aidsawa und Dr. Sudzuki auch für seine eigenen Retter zu halten.

Gorelows Pflege ließ nichts zu wünschen übrig. Dr. Sudzuki wandte die modernsten Methoden an, um ihn wieder auf die Beine zu bringen. Nach drei Tagen konnte sein Patient schon ein langes Gespräch mit Kapitän Majeda führen, der ihn zum zweiten Mal aufsuchte.

Dieses Mal kam der Kapitän nur in Begleitung eines Mannes, der neben Gorelows Koje ein Diktafon aufstellte und sich dann entfernte. Nachdem der Kapitän in gewählten Worten seine Freude über Gorelows fortschreitende Genesung ausgedrückt und noch einmal sein Bedauern über die von seinem Gast erlittenen Leiden ausgesprochen hatte, ging er zur Sache über: »Das Flottenkommando wäre Ihnen sehr verbunden, Mr. Krok, wenn Sie uns Einzelheiten über die Konstruktion des U-Bootes, seine Bewaffnung, seine Antriebsart und überhaupt alles mitteilten, was es von gewöhnlichen U-Booten unterscheidet.«

Anscheinend hatte Gorelow diese Fragen erwartet, er antwortete schnell:

»Verzeihung, Kapitän, aber über all dies will ich dem Flottenkommando persönlich Mitteilung machen, sobald wir in einem Hafen eingelaufen sind. Übrigens, wo befinden wir uns jetzt?«

Der Kapitän war von Gorelows Antwort sichtlich befremdet. Mit unbeweglichem Gesicht und halbgeschlossenen Augen schwieg er einen Augenblick und sagte dann mit leiser Stimme: »Ich kann Ihnen versichern, sehr verehrter Mr. Krok, dass ich im gegebenen Falle nicht aus Neugier frage, sondern im Auftrage des Flottenkommandos.«

»Tut mir sehr leid, Kapitän, und ich muss Sie noch einmal um Entschuldigung bitten, aber einige sehr wichtige Erwägungen zwingen mich, Ihre Fragen nicht zu beantworten. Meine Informationen kann ich nur unmittelbar dem Flottenkommando selbst bekannt geben. Und je eher ich an Land gehe, um so besser ist es für die Sache. Deshalb fragte ich Sie auch, wo wir uns befinden.«

Der Kapitän schwieg wieder.

»Wie Sie wollen, Mr. Krok«, sagte er schließlich. »Wenn das Ihr endgültiger Entschluss ist, bestehe ich nicht darauf. Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, dass Ihre Absicht, vorläufig noch zu schweigen, dem Flottenkommando einige Schwierigkeiten bereiten wird. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie diesem Umstand Rechnung tragen wollten. Übrigens«, fügte der Kapitän hastig hinzu, als Gorelow die Stirn runzelte. »wiederhole ich noch einmal, dass ich keinesfalls auf einer sofortigen Beantwortung meiner Fragen bestehe und Ihnen völlig freie Hand lasse. Was jedoch unser Schiff betrifft, so befindet es sich an genau derselben Steile, an der wir das Vergnügen hatten, Sie an Bord zu nehmen.«

»Was?«, rief Gorelow erstaunt und voller Unruhe, sich auf einen Ellenbogen stützend. »Warum denn?«

»Laut Befehl unseres Flottenkommandos müssen wir, nachdem Sie an Bord unseres Schiffes gegangen sind, uns volle Gewissheit verschaffen, dass das U-Boot gesunken ist. Wir müssen hierfür Beweise haben und warten nur auf Ihre Genesung und Ihre Hilfe, um diese auch zu bekommen.«

»Beweise?« wiederholte Gorelow verwirrt. »Welche Beweise? Nach der Explosion haben sich auf der Ozeanoberfläche Ölflecke gezeigt, aber Sie waren nicht in der Nähe, und jetzt sind die Ölflecke wahrscheinlich schon verschwunden. Ich sah auch Holzsplitter, die inzwischen wahrscheinlich von den Wellen fortgespült worden sind. Welche Beweise wollen Sc denn noch?«

»Schon zweimal«, antwortete der Kapitän, »waren wir fest davon überzeugt, dass das U-Boot von uns vernichtet worden sei. Später aber stellte es sich heraus, dass wir das Opfer einer Täuschung waren. Das letzte Mal haben wir für diese Täuschung einen viel zu hohen Preis bezahlt. Wir haben unseren besten Kreuzer und den tüchtigsten Kapitän der Flotte Seine, Majestät verloren. Die Trauer um die Idzumo und ihren Kommandanten erfüllt noch heute die Herzen der ganzen Nation, die den wirklichen Grund der Katastrophe nicht kennt. Wir wollen keine weiteren Fehler dieser Art mehr machen!’

»Aber überlegen Sie doch, Kapitän«, rief Gorelow in höchster Erregung. »Von welchen Beweisen kann denn noch die Rede sein? Was könnte Sie noch von der Vernichtung des U-Bootes überzeugen? Ich kann mir nicht vorstellen, was Ihr. Zweifel beseitigen könnte, nachdem seit der Explosion bereits mehrere Tage vergangen und jetzt keine Spuren mehr zu finden sind!«

Gorelow lehnte sich, blass und ermattet, ins Kissen zurück.

»Regen Sie sich nicht so auf, mein lieber Mr. Krok«, sagte der Kapitän beunruhigt. »Wir fürchten zu sehr für Ihre Gesundheit, um Sie weiteren Belastungsproben auszusetzen. Um so mehr, als das ganz unnötig wäre. Die erforderlichen Beweise können durch Ihre tapfere Mitwirkung leicht erbracht werden. Das U-Boot ist, falls es tatsächlich von der Katastrophe ereilt wurde, in einem verhältnismäßig flachen Gebiet des Ozeans gesunken – in nicht mehr als tausendzweihundert Meter Tiefe. Hier kann man das Wrack sehr leicht finden, falls Sie die Suche danach übernehmen wollen in Ihrem Taucheranzug, dessen Sie sich mit solchem Geschick bedienen. Die Explosionsstelle ist Ihnen ja hinreichend bekannt; wenn das U-Boot gesunken ist, muss es in der Nähe dieser Stelle liegen. Wir werden Sie mit einem modernen elektromagnetischen Metallsuchgerät ausrüsten, und in kurzer Zeit werden Sie das Wrack finden können. Sie müssen sich davon überzeugen, in welchem Zustand es ist, und uns die Fundstelle anzeigen, wonach wir mit den uns zur Verfügung stehenden technischen Mitteln Ihre Angaben prüfen und das U-Boot vielleicht auch heben werden.«

»Aber kann ich wissen«, versuchte Gorelow zu widersprechen, »an welcher Stelle die Explosion erfolgt ist? Den Ort hatte ich nur schätzungsweise am Wendekreis des Steinbocks ausgemacht. Der Fehler von nur einem Grad würde das zu untersuchende Gebiet um Tausende von Quadratkilometern vergrößern. Wie viel Zeit also würde man für diese Suchaktion brauchen?«

»Soviel, wie sich als nötig erweisen sollte!«, lautete die lakonische Antwort. »Wir verlassen diesen Teil des Ozeans erst dann, wenn wir das U-Boot gefunden haben werden oder wenn wir zu der Überzeugung gelangt sind, dass es sich hier nicht befindet.«

Gorelow schloss die Augen und antwortete nicht. Er war in einem Zustand völliger Ratlosigkeit und wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Aber eins war ihm klar geworden, dass mit der Sprengung des U-Bootes die Angelegenheit noch lange nicht abgeschlossen und er einer grausamen, unerbittlichen Macht ausgeliefert war, in deren Händen er sich immer mehr in ein willenloses Werkzeug verwandelte.

Ein Gedanke schoss ihm plötzlich durch den Kopf.

»Wenn so vorzügliche Metallsuchgeräte zu Ihrer Verfügung stehen, Kapitän«, sagte er, seine Erregung nur schwer unterdrückend, »warum setzen Sie sie dann nicht von Bord ihres Schiffes ein oder sogar, um die Sache zu beschleunigen, von Bord einiger Schiffe?«

Der Kapitän schüttelte den Kopf.

»Nach der traurigen Erfahrung mit der Idzumo vermeiden wir es, dem U-Boot oder der Stelle, wo es sich befinden könnte, allzu nahe zu kommen. Das Risiko wäre zu groß.«

Gorelows Gesicht bedeckte tödliche Blässe. Völlig ermattet sank er mit geschlossenen Augen ins Kissen zurück. Der herbeigeeilte Dr. Sudzuki bemühte sich lange, seinen Patienten wieder zum Bewusstsein zu bringen.

Wie ein Turm über die Köpfe der kleinwüchsigen Schiffsmannschaft emporragend, ging Gorelow jeden Morgen im Taucheranzug mit schweren, langsamen Schritten zum Fallreep. Jedes Mal begleiteten ihn ehrerbietig der Adjutant des Kapitäns, Leutnant Ossima, Major Aidsawa und einige Offiziere. Die Wache am Fallreep erwies ihm Ehrenbezeigungen. Aber Gorelow schritt über das Deck des Kreuzers mit finsterem Gesicht und mit dem Gefühl eines Sklaven, den die Peitsche des Aufsehers zu einer schweren und verhassten Arbeit antreibt. Zusammen mit Major Aidsawa stieg er das Fallreep hinunter, und beide nahmen in einem Motorkutter Platz, der sie nach etwa drei Stunden an die für den betreffenden Tag vorgesehene Stelle brachte. Hier setzte Gorelow den Taucherhelm auf und tauchte mit einem kleinen Kasten, der das Metallsuchgerät enthielt, zum Meeresgrund. Er schwamm mit voller Geschwindigkeit und mit brennender Stirnlaterne etwa fünfzehn Meter über dem Meeresboden und lauschte auf ein Zeichen des Suchgerätes. Ein ausgedehntes Gebiet, einige Tausend Quadratkilometer groß, musste abgesucht werden. Dieses Gebiet war von Gorelow gemeinsam mit dem Kapitän in kleinere Flächen, jede ein paar Hundert Quadratkilometer umfassend, aufgeteilt worden, und eine dieser Flächen musste Gorelow im Laufe eines Tages absuchen. Unter Wasser frühstückte er aus der Thermosflasche, er trank etwas Kakao oder eine kräftige Fleischbrühe, kehrte zum Mittagessen auf das Kriegsschiff zurück, aß Abendbrot wieder auf dem Kreuzer und ging dann nach eingehender ärztlicher Untersuchung erschöpft und todmüde sofort schlafen. Bis zum nächsten Morgen musste Major Aidsawa die Akkus des Taucheranzuges wieder aufladen, seinen Mechanismus überprüfen, Sauerstoff auffüllen und sich um die Wegzehrung kümmern.

Das wiederholte sich mit ermüdender Eintönigkeit Tag für Tag, aber Gorelow konnte auch nicht die geringste Spur des U-Bootes finden. Er hatte bereits aufgehört, die Tage zu zählen.

Achtzehn Tage nach der Explosion, am 15. August, wurde Gorelow bei seiner Rückkehr aufs Schiff am Fallreep von Kapitän Majeda empfangen. Der Kapitän wartete ungeduldig, bis Gorelow den Taucheranzug abgelegt hatte, und bat ihn sofort in seine Kajüte. Hier forderte er den Ingenieur auf, Platz zu nehmen, und sagte: »Unsere Funkstation fängt seit gestern Abend chiffrierte Funksendungen von einem unbekannten Ort ab. Wir haben festgestellt, dass die Sendungen von einer ortsfesten Station erfolgen, die in südöstlicher Richtung, nicht weiter als fünf- bis sechshundert Kilometer von uns entfernt, liegen muss. Unsere Flugboote haben in den letzten vierundzwanzig Stunden ein riesiges Gebiet über dem Ozean abgesucht, haben aber kein einziges Wasserfahrzeug entdecken können. Wie Sie auch selbst wissen werden, ist dieser Teil des Ozeans so weit von den Schifffahrtslinien entfernt, dass man hier kaum ein Schiff antreffen kann. All dies, zudem auch die völlige Ergebnislosigkeit Ihrer Bemühungen, lässt mich vermuten, dass das U-Boot kein Opfer der Explosion geworden ist, sondern, mehr oder weniger schwer beschädigt, bewegungslos geworden ist, seine Funkstation in Ordnung gebracht hat und jetzt von seinem Stützpunkt aus um Hilfe funkt. Deshalb habe ich mich entschlossen, die Suchaktion vorübergehend zu unterbrechen und der Quelle dieser geheimnisvollen Funksendungen näher zu kommen. Dort werden Sie Ihre Arbeit mithilfe einer U-Boot-Flottille, die ich von unserem nächsten Stützpunkt angefordert habe, wieder aufnehmen. In zwei Tagen wird die Flottille an dem von mir bezeichneten Ort eintreffen und sich uns dort anschließen. Ich bin fest davon überzeugt, dass, falls sich meine Vermutung über die schwere Havarie der Pionier bewahrheitet, ihre Kampffähigkeit stark herabgemindert ist. Deshalb nehme ich die Verantwortung für dieses Risiko, das zweifelsohne immer noch vorhanden ist, auch auf mich. Ich will es aber eingehen, um das U-Boot in einer für uns so günstigen Situation zum Kampf zu stellen. Wenn die Pionier erst Zeit gehabt hat, ihre Schäden zu beseitigen, wenn sie Hilfe bekommt und ihre Schlagkraft wieder erhalten hat, haben wir keine Aussicht mehr auf Erfolg. Wir müssen die Lage voll ausnutzen und diesem verwünschten U-Boot, ohne lange zu fackeln, den Rest gehen, solange man dies noch mit der Hoffnung auf Erfolg tun kann. Ihre Meinung, Mr. Krok?«

Das sonst kühle Gesicht des Kapitäns zeigte Spuren höchster Erregung.

Gorelow schwieg. Er ließ den Kopf auf die Brust sinken und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Schließlich sagte er mit tonloser Stimme: »Ich kann es mir nicht vorstellen, Kapitän. Ich glaube nicht, dass das U-Boot nach dieser Explosion nicht gesunken sein sollte. Aber Sie haben recht. Man muss unbedingt feststellen, woher diese Funksendungen kommen. Wir müssen unsere Chancen nützen. Sollte die Pionier doch noch Wladiwostok erreichen, dann wird sie die fernöstlichen Meere beherrschen. Nur sie allein! Und niemand weiter!«

Eine halbe Stunde später verließ der riesige Kreuzer – eine stählerne, von Geschützrohren starrende Festung – seinen Standort. Mit Kurs auf Südost durchpflügte er in brausender Fahrt den Ozean.

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  1. Altjapanische Form des Freitodes.