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Wolfram von Bärenburg – Teil 7

Wolfram von Bärenburg, genannt der Erzteufel
Der verwegenste Raubritter und schrecklichste Mörder, ein Scheusal des Mittelalters, von der Hölle ausgespien zum Verderben der Menschen
Eine haarsträubende Schauergeschichte aus den furchtbaren Zeiten des Faustrechts und des heimlichen Gerichts der heiligen Feme aus dem Jahr 1860
Kapitel 7

Im Hexennest

Hohes dorniges Gebüsch führte wie durch die Windungen eines Irrgartens zu einer in einen Felsen gehauene Höhle, die früher von einem Klausner bewohnt war. Ein alter hölzerner Stuhl und Tisch, roh gezimmert, im Hintergrund ein Mooslager mit einer fadenscheinigen ausgedienten Rossdecke, ein irdener Wasserkrug mit halb abgebrochenem Henkel, an der einen Wand ein aus leichten Baumästen gemachtes, mit Zweigen durchwundenes Gestell, auf welchem Kräuter zum Trocknen lagen, während im untersten Fach irdene Töpfchen von verschiedener Größe standen, zubereitete Salben enthaltend. An der gegenüberliegenden Wand ein steinernes, von der Alten mit Waldblumen reich verziertes Kruzifix. Aus diesen Dingen bestand die ganze Einrichtung, welche Kurt mit mitleidigen Blicken betrachtete.

»Da sieht es wirklich nicht aus, als ob der versprochene Imbiss für Euch zu finden sei. Doch geduldet Euch nur ein wenig!«, sagte die Alte, ordnete die im Tragkorb mitgebrachten Kräuter auf dem Wandgestell, trat dann dem Ritter Kurt gegenüber, und fuhr fort: »Ich weiß recht gut, dass ich Euch mein Vertrauen ohne Scheu schenken darf, darum sollt Ihr sehen, was ich noch keinem anderen Menschen gezeigt habe.«

Sie nahm ein Stück Holz, bückte sich, und stieß damit in die Öffnung unter dem schmalen steinernen Herd, der in einer Ecke dieser ärmlichen Behausung stand. Augenblicklich drehte sich die Nische mit dem Kruzifix und wies den Eingang in ein anderes Gemach. Die Alte winkte lächelnd dem Ritter, ihr zu folgen, und ging durch diese ungewöhnliche Tür voran, die sich hinter beiden wieder schloss, ohne durch eine Fuge wahrnehmbar zu sein.

Die Kammer war ziemlich geräumig und mit allem Nötigen für ein genügsames Unterkommen versehen, selbst mit einem Bett, wie es damals in den Hütten der Landleute üblich war. Das Tageslicht erhellte den Raum, indem es durch Felsenspalten brach. Eine offene Tür führte in eine andere Kammer, die noch größere Bequemlichkeiten, ja sogar zwei Betten enthielt, so einladend, als wären sie als Gästebetten bestimmt.

»Nun labt Euch zuvor«, sagte die Alte, während Kurt alles voller Verwunderung betrachtete, «bevor wir über mein Hexennest sprechen!«

Mit diesen Worten stellte sie auf einen hinter seinem Rücken schnell gedeckten Tisch einen großen Krug Wein, kalten Rehbraten und Brot.

»Ihr seht mir wahrhaftig nicht danach aus, als ob Ihr von einer Rittertafel kommt. Greift also nur wacker zu, und vergönnt mir eine halbe Stunde, mich mit meinen Kräutern zu beschäftigen. Danach werde ich Euch Erfreuliches erzählen!«

Der Ritter bedurfte keiner zweiten Aufforderung, um seinen Hunger und Durst zu stillen und hatte alles aufgezehrt, als die Alte zurückkam und freudig ausrief: »Gott segne es Euch, Ritter Kurt von Steinau! »Ihr seht schon viel besser aus als vorhin.«

»Du kennst mich?«, fragte Kurt, bestürzt vom Stuhl auffahrend.

»Ich kenne Euch nicht nur, sondern ich liebe Euch auch noch immer, wie ich Euch einst geliebt habe. Auch Ihr habt mich damals geliebt, vermögt Euch aber einer so alten Liebschaft und eines so alten Liebchens nicht mehr erinnern.«

Sie sprach im Ton tiefer Rührung und würde geweint haben, wenn sie noch Tränen gehabt hätte.

Mit bewegtem Herzen erwiderte der gutmütige Kurt, der an die Macht seiner Liebe zu der verlorenen Gertraud dachte: »Ich verstehe dich nicht, gute Alte! Erkläre es mir näher!«

»Wie hieß Eure Wärterin, als Ihr noch ein Knabe von sechs Jahren gewesen ward?«

«Martha! Oh, meine gute Martha werde ich nie vergessen!«

«Doch, doch!«, rief die Alte aus, sank zu Boden und umklammerte Kurts Knie, mit tiefer Wehmut stöhnend.

»Die von Euch vergessene Martha — bin ich!«

»Heiliger Gott! Du meine Martha!«, erwiderte Kurt zu Tränen gerührt, indem er sie rasch aufhob und sie in seine Arme schloss. »So lebt doch ein Herz noch, das mich liebt!«

»Vielleicht auch ein zweites«, versetzte die überselige Martha.

»Welches meinst du, Martha?«

»Trübt durch keine solche Frage den freudigen Augenblick, da ich Euch wiedersehe! Geduldet Euch, bis die Möglichkeit zur Wahrscheinlichkeit und dann diese zur Gewissheit wird!«

»Also doch noch möglich?«

»Ja, möglich! Aber stille davon!«

»Wie kamst du aus meines Vaters Burg und hierher?«

»Hört, Ritter Kurt, wie dies zuging! Ihr wisst, dass ich Euren Eltern viel bedeutet habe.«

»Das weiß ich.«

»Als ihr acht Jahre alt ward, brachte Euch der Vater in ein fernes Benediktinerkloster zum Unterricht. Er wollte einen gelehrten Ritter aus Euch machen, der einst am Hofe des Kaisers ein vornehmes Amt verwalten sollte. Aus Sehnsucht nach Euch wollte ich die Burg Steinau verlassen und zu meinem alten Bruder Martin ziehen, der hier wohnte, wo ich nun schon lange lebe, und als heilkundiger Klausner weit und breit berühmt war. Eure Eltern baten mich, bei ihnen zu bleiben. Nach sechs Jahren habt Ihr das Kloster verlassen und kamt auf einen kurzen Besuch nach Hause, wo ich Euch zum letzten Mal sah. Ihr habt mich so herzlich begrüßt wie in euren Kinderjahren und nahmt einen rührenden Abschied von mir, als Euch Euer Vater nach Burgund schickte, um bei einem mächtigen befreundeten Ritter in allen ritterlichen Tugenden Euch zu üben.«

»Ja, allerdings schied ich damals mit einer trüben Vorahnung von meinen geliebten Eltern, die ich nicht mehr wiedersehen sollte.«

»Eines Abends, als Eure Mutter bei einer benachbarten Rittersfrau auf Besuch war, sagte mir Euer Vater, der in allen Dingen ein besonderes Vertrauen in mich setzte, dass er in vier Wochen sein fünfundzwanzigjähriges Hochzeitfest feiern und an diesem Tag seine Gemahlin mit einem überaus reichen Schatz überraschen wolle, den er als redlich erworbene Kriegsbeute aus Italien mitgebracht habe. Er beschrieb mir genau die Stelle im Burgkeller, wo dieser Schatz unter dem letzten Fuß, rechts vom Eingang in einer Kiste vergraben liege, mit der Anmerkung, dass er mir dies anvertraue, damit ich, im Falle er plötzlich sterben sollte, seine hinterlassene Witwe davon in Kenntnis setzen könne.«

»Dies wäre also das Geld, mit dem ich meine zerstörte Burg wieder aufbauen sollte?«

»Ja. Es war eben damals eine Seuche in ganz Deutschland ausgebrochen, an welcher leider auch Eure guten Eltern an einem Tag im Abstand von einer Stunde starben. Nachdem ich ihrer Bestattung in der Gruft der Burgkapelle beigewohnt und geweint hatte, dass ich meinte, das Herz müsse mir brechen, verließ ich die Burg, die danach von einem Vormund verwaltet wurde, und zog hierher in die Klause meines Bruders Martin, von dem ich die geheimnisvollen Wirkungen der Kräuter erlernte. Er ist bereits vor sechs Jahren gestorben.«

»Fürchtest du dich nicht vor den Raubrittern?«

»Nein. Sie wissen, dass ich arm bin, und brauchen meine Salben gegen Wunden, meine Heiltränke gegen Krankheiten von Menschen und Vieh. Dafür schicken sie mir Wein und Wildbraten im Überfluss, da ihre Fehden kein Ende nehmen, während die Landleute Butter, Eier, Schmalz, Mehl und Geflügel liefern. Was mir übrig bleibt, schenke ich armen Leuten, die sich an jedem Sonntag bei mir einfinden.«

»Ja, ja, du bist noch immer die gutherzige Martha.«

»Christenpflicht, weiter nichts, Herr Ritter! Meine Einrichtung, die euch überrascht hat, ist ein Geschenk Eurer guten Mutter.«

»Warum hast du mich denn nie in Steinau aufgesucht?«

»Anfangs verhinderte mich jahrelang das Siechtum meines Bruders daran, den ich pflegen musste, und dann hörte ich von Leuten, die bei mir Hilfe suchten, dass Ihr zum Heer des Kaisers gegangen seid und während Eurer Abwesenheit der Erzteufel Wolfram Eure Burg geplündert und niedergebrannt, und Euer Weib geraubt habe.«

»Und in den Bärenzwinger geworfen. Ha, Erzteufel, du sollst meiner Rache nicht entgehen!«

Martha schüttelte den Kopf.

»Zweifelst du, dass ich mich an ihm rächen werde?«

»Nein, aber daran, dass Wolfram Euer Weib den Bären vorwerfen ließ.«

»Wie? Du zweifelst daran? Warum?«

»Weil mir zwei Knechte Wolframs, die zu verschiedener Zeit bei mir Salben holten, diese Raubgeschichte mehrmals erzählten, ohne von dem Sturz Eures Weibes in den Bärenzwinger zu sprechen, was sie in ihrer Wildheit zu erwähnen gewiss nicht vergessen hätten, wenn es geschehen wäre.«

»Wenn es nicht geschah, dann hat sie dem Räuber aus Todesangst Gehör gegeben. Um so schlimmer!«

»Ein solcher Argwohn geziemt Euch nicht, Herr Ritter! Es ist möglich, dass Euer Weib ihm entfloh und gar nicht auf Bärenburg kam.«

»Aber nicht, wahrscheinlich.«

»Wer weiß!«

»Kennst du Wolfram?«

»Sehr gut. Er kam schon öfter zu mir, um Wunden verbinden zu lassen, die er bei Raubzügen erhielt. Eine dieser Wunden war besonders gefährlich. Ein Schwerthieb drang in die linke Schulter und fuhr in der Herzgegend an den Rippen herab, ohne jedoch diese zu verletzen. Er wurde wieder ganz geheilt.«

»Der Teufel hilft seinen Anhängern.«

»Besten dank auch, Ritter Kurt! Da müsste ja ich der Teufel sein, weil ich den Wolfram geheilt habe.«

»So war es nicht gemeint, gute Martha!«, erwiderte Kurt lachend.

»Glaub’s schon, Herr Ritter, glaub’s schon. Nun, ich hab’ auch nur scherzweise gesprochen.«