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Dampfmaschinen und rauchende Colts

Dampfmaschinen und rauchende Colts

Ein paar historische Vorbemerkungen

Heimstättegesetze sind Gesetze, welche den bäuerlichen Besitz zu sichern bestimmt sind und zu dem Zweck das Verfügungsrecht des Besitzers beschränken. Zu unterscheiden sind Homestead exemtion laws, nach welchen die Heimstätte bis zu einer gewissen Flächengröße (40-200 Acres in einigen Staaten von Nordamerika) oder bis zu einer bestimmten Höhe des Wertes (300 Dollar in Pennsylvanien, 5000 Dollar in Kalifornien, Texas, Nevada, Arizona, Idaho) nebst bestimmt genanntem beweglichen Besitz (in Nordamerika bis zu einer Werthöhe von 100 – 1600 Dollar) gegen Schuldverkauf dadurch geschützt, eximiert, ist, dass sie, mit gewissen Ausnahmen, von keinem Gläubiger angegriffen, versteigert und beschlagnahmt werden kann, und im weiteren Sinn, dem Bauern erst einen Hof zu schaffen, ihm eine Heimstätte anzuweisen. Derartige Gesetze gab es in 32 Staaten der nordamerikanischen Union sowie in Kanada, Rumänien, Serbien, in der Türkei, teilweise auch in China. Als 1837 – 39 infolge einer amerikanischen Bankkrise viele Farmer zahlungsunfähig wurden und mit ihren Sklaven vor den Gläubigern nach Texas flohen, welches damals noch nicht zur Union gehörte, verschaffte die Regierung dieses Landes den Einwanderern Sicherheit durch Erlass eines Heimstättenexemtionsgesetzes. Diesem Beispiel folgten später fast alle anderen Staaten. Seit 1862 bestand auch für die Union ein allgemeines Heimstättegesetz, nach welchem jedem Ansiedler 80 – 160 Acres Land als Heimstätte mit der Bestimmung zugeteilt wurden, dass, solange der Kaufbrief nicht ausgehändigt worden war (in der Regel während der ersten fünf Jahre des Besitzes), dieser für Schulden nicht haftbar gemacht werden konnte. Sobald der Ansiedler Volleigentümer geworden war, trat das Unionsgesetz für ihn außer Kraft, und es kamen nun die Heimstättenexemtionsgesetze der einzelnen Staaten zur Anwendung.

 

Viel wurde bereits über den Wilden Westen und dessen Eroberung geschrieben, verfilmt, berichtet, mit welchem Wagemut und genialen technischen Pioniertaten, gepaart mit hemmungsloser Habgier und menschenverachtender Brutalität, die großen Prärien besiedelt wurden. Es war in jenen Jahren ein Aufbruch unvorstellbaren Ausmaßes voller Entbehrungen, Leid, aber auch Reichtum und Glückseligkeit. Es war die Zeit des großen Eisenbahnbaus, der Siedler und Frontier, aber auch eine Zeit der in der Ferne bereits sichtbaren Zeichen des Endes der Prärieindianer. Es waren jene Jahre, die in unzähligen Filmen und Romanen verherrlicht und verklärt werden. In der Anthologie Dampfmaschinen und rauchende Colts siedeln 12 Autoren ihre Storys rund um das vorgegebene Thema an und lassen Elemente von Steampunk, Western und Crime aufeinandertreffen. In den Geschichten kommt es schon mal vor, dass Cowboys von Luftschiffen aus die Weidezäune überprüfen, Eisenbahnrennen stattfinden, Goldschätze gehoben oder Stagecoaches von Lenkballons überfallen werden. Eben halt etwas anderes, als wir es aus alten Westernfilmen kennen. Die Anthologie ist einfach nur phantastisch.

Das Buch

Stefan Cernohuby, Wolfgang Schroeder (Hrsg.)
Dampfmaschinen und rauchende Colts
Anthologie, broschiert, Verlag Torsten Low, Meitingen/Erlingen, Oktober 2014, 286 Seiten, 13,90 Euro, ISBN 9783940036278, Umschlaggestaltung und Illustrationen: Georgie Retzer
Kurzinhalt:
Wir schreiben das Jahr 1876. Die gewaltige Kraft des Dampfes hat die Welt erobert und sie durch ihre Errungenschaften ein wenig kleiner werden lassen. Dampfbetriebene Schnellboote durchqueren die sieben Weltmeere. Riesige Luftschiffe verdunkeln den Himmel über den Städten. Täglich werden die Grenzen des Machbaren erneut ausgelotet und erweitert. Inmitten der kargen Einöde des Mittleren Westens ist ein amerikanischer Wissenschaftler dabei, die vorhersehbaren Energieprobleme der Zukunft zu lösen. Doch er wird beobachtet. Und als die Gelegenheit günstig erscheint, bringen Spione des russischen Zaren den Wissenschaftler und seine Maschine in ihre Gewalt. Eine Entführung, die eine ganze Kette von Ereignissen in Gang setzt … Folgen Sie den Spuren der Entführer und begleiten Sie deren Verfolger quer durch den Wilden Westen auf ihrem Weg in Richtung Ozean. Erleben Sie Gewalt, Verzweiflung, Schießereien und jede Menge Steampunk-Flair. Frei nach dem Motto: »Mit Volldampf gen Westen!«

Beteiligte Autoren

  • Chris Schlicht – Nebel über der Oakland Bay
  • Wolfgang Schroeder – … und die Welt zu meinen Füßen
  • Andrea Bottlinger – Die Crew der Washington
  • Gerd Scherm – Ein ganz normaler Auftrag
  • Sean O’Connell – Totentanz
  • Andreas Zwengel – Pier 49
  • Gerd Scherm – Die Fahrt nach Topeka
  • Claudia Toman & Philipp Bobrowski – Sea
  • Gerd Scherm – Entführt
  • Vincent Voss  – Für eine Handvoll Steam
  • Michael Wozonig – Craters of the Moon
  • Marco Ansing – Queen Victoria auf der Rinderzucht
  • Stefan Cernohuby – Zwei Seiten einer Medaille

Leseprobe aus Totentanz von Sean O’Connell

Nathan Hickory folgte dem Whistler. Er konnte sich kaum mehr daran erinnern wie lange schon. Das endlose Grün der flachen, bis zum Horizont reichenden Felder verwandelte sich im Licht der Abendsonne in dunkelrot dahinfließendes Blut.

Nathan war nicht allein. Oh, nein.

In seiner Gesellschaft befand sich Zack Del Gado, Privatdetektiv und Kopfgeldjäger. Ein Mann mit zweifelhaftem Ruf. Ein Mann, den er im Auge behalten musste.

Doch er war müde. Hundemüde.

Amerikas Mittelwesten erschien ihm plötzlich trostlos und er sehnte sich mehr denn je an die stürmischen Küsten Connemaras zurück. Doch die alte Heimat, Irland, war endlos fern, und das flache Herzland Amerikas längst sein Schicksal. Del Gado und er ritten einen kleinen Hügel hinauf. Nathan bedeckte seine Augen mit der flachen Hand und blickte in die untergehende Sonne.

»Können Sie etwas erkennen, Zack?«, fragte er.

»Nein«, brummte Del Gado. »Nichts. Doch wenn der Whistler da draußen ist, braucht er sich nur umzudrehen und er wird zwei lange, dunkle Schatten auf einem Hügel erkennen.«

»Meinen Sie?«

»Mit Verlaub, Sir. Sie sind ein Greenhorn. Ein Städter. Das hier ist Kansas. Flaches Grasland. Da entgeht einem nichts.«

Hickory seufzte und glitt müde aus dem Sattel. »Nun, mir ist zum Beispiel nicht entgangen, dass wir immer noch keine konkrete Spur vom Whistler haben. Zack, ich dachte, Sie sind Fährtenleser?«

Zuvor waren sie in Missouri gewesen. Und davor in Illinois. Der Whistler hatte überall entlang seiner Route Leichen hinterlassen. Blutjunge, wunderschöne Frauen, die er meist aufgeschlitzt und fliegenumschwärmt in der Prärie zum Verwesen drapiert hatte. Er selbst hingegen blieb nur ein Gerücht, ein Gespenst, ein flüchtiger, unheimlicher Schatten über dem weiten Grasland.

Del Gado seufzte. »Privatdetektiv. Und ich sage Ihnen, er folgt irgendwie einem alten, längst vergessenen Indianerpfad, den wir noch nicht ausgemacht haben. Das ist die Art des Whistlers … seinen Verfolgern immer einen Schritt voraus zu sein, nicht wahr? Aber wir werden ihn schon finden, Mr. Hickory. Seien Sie unbesorgt. Meine Nase hat mich noch nie getrogen.«

Nathan nickte. Er war zu müde, um zu widersprechen. Selbst das kalte, finstere Chicago erschien ihm jetzt beinahe wie das Paradies. Kansas hingegen war eine einzige, grüne Hölle. Sie lähmte sein Herz und zersetzte seinen Verstand mit ihrer furchtbaren Weite.

»Können wir ein Feuer machen?«

Del Gado grinste und seine hässlichen krummen Zähne kamen zum Vorschein. »Natürlich, Sir. Aber ich bin dann auf und davon. Wir sind jetzt seit Tagen durch das Gebiet der Potawatomi gezogen und es grenzt fast an ein Wunder, dass sie uns nicht entdeckt haben. Hier in Kansas gibt es versprengte Gruppen der Iowa, der Kickapoo und vor allem der Sioux.« Er spuckte aus. »Ein Wespennest, Sir. Die Wilden massakrieren uns bei lebendigem Leib, wenn sie uns entdecken. Ich habe nicht vor …«

Nathan Hickory winkte ab und setzte sich erschöpft ins Gras. »Sie bekommen Ihr Geld auch so, Zack. Sie brauchen keines dieser schaurigen Ammenmärchen für Reisende zu erzählen.« Er riss einen Grashalm ab und steckte ihn in den Mund. Blinzelnd starrte er nach Westen. »Ich fürchte nicht die Indianer, Zack, sondern vielmehr einen Irren, der meine Verlobte auf dem Gewissen hat. Dieser Mann ist irgendwo da draußen, Zack. Irgendwo vor uns.«

»Aye«, sagte Del Gado mürrisch und nickte. »Gerade dann sollten wir kein Feuer machen. Kommen Sie. Ich habe noch etwas Dörrfleisch und Bohnen. Die schmecken auch kalt ganz gut. Ich binde nur mal eben die Pferde an und dann können wir es uns gemütlich machen.«

 

Die Sterne prangten am Himmel, als sie zu Ende gegessen hatten. Nathan hatte nur wenig gesprochen und den kruden Geschichten Del Gados gelauscht, die überwiegend von Schießereien, Alkoholexzessen und leichten Mädchen handelten. Erst später, als sein Begleiter wortmüde eine Flasche Whiskey aus den Satteltaschen seines Pferdes gezogen und einen tiefen Schluck davon genommen hatte, gelang es ihm, die nagende Trauer um Penelope etwas zurückzudrängen und über die zukünftigen Taten ihres Mörders zu sinnieren. Nathan hatte Penelopes Vater, einem irischstämmigen Auswanderer namens Hugh Mallony, versprochen, den Mörder gnadenlos zu jagen und ihn zur Strecke zu bringen, egal was es kostete. An dieses Versprechen fühlte er sich gebunden, doch seine körperlichen und mentalen Kräfte drohten ihn bereits jetzt zu verlassen.

»Was liegt dort draußen, Zack?«, fragte er müde. »Da hinten, am Ende der Felder.« Er deutete nach Westen.

Del Gado setzte sich neben ihn und starrte in die Nacht. »Meinen Sie den dunklen, glitzernden Streifen im Sternenlicht, Sir? Das ist der Missouri.«

Nathan nickte. Er hatte davon gehört. »Glauben Sie, der Whistler wird dem Fluss folgen, oder ihn überqueren?«

»Sechs- bis achthundert Fuß breit. Ich glaube nicht, dass der Whistler es wagen wird, den Missouri zu queren. Es ist wahrscheinlicher, er folgt seinem Ufer. Im Süden liegt die City von Kansas. Ein guter Ort um unterzutauchen, wenn Sie mich fragen. Da gibt es eine Menge Mädchen. Sie verstehen schon. Jung und bildschön. Ich denke, er wird dorthin gehen.«

»Aye. Wie weit ist es noch bis zum Fluss?«

»Weniger als eine Meile, würde ich sagen.«

»Gut.« Nathan stand auf. »Kommen Sie. Reiten wir.«

»Es ist eine mondlose Nacht, Mr. Hickory. Wir können unmöglich im Dunkeln reiten. Viel zu gefährlich.«

»Reden Sie keinen Unsinn, Zack. Wir halten uns einfach an den Fluss. Das Licht der Sterne spiegelt sich im Wasser und dient uns zur Orientierung.« Er trat zu Del Gado und roch dessen schalen Atem. »Unter Menschen werden wir seine Spur verlieren. Und Sie haben recht: er wird dem Ufer bis zur nächsten Stadt folgen. Bis nach Kansas City. Wir müssen ihn also vorher zu fassen kriegen.«

»Wie Sie meinen. Es heißt übrigens City of Kansas«, verbesserte ihn Del Gado und verzog das Gesicht zu einer schiefen Grimasse. »Und bei Nacht wird es nicht eben leichter.« Die Vorstellung, in der Dunkelheit dem Whistler zu begegnen, behagte ihm offensichtlich gar nicht.

Nathan hingegen war zu allem entschlossen. »Dann eben City of Kansas. Wie auch immer … reiten wir.«

 

Sie kamen nur langsam voran. Obwohl das Land eben war, zögerten die Pferde, in einen leichten Trab zu verfallen, was Del Gado aber nicht auf die Dunkelheit, sondern auf die vermehrte Anwesenheit von Schlangen im Gras zurückführte.

»Die Beutedichte dürfte hier am Flussufer höher sein als woanders«, sagte er. »Das lockt die Biester in Scharen an.«

Nathan hielt inne. »Warten Sie! Da ist etwas.«

»Ja. Das muss er sein«, bekräftigte Del Gado nuschelnd. Die Whiskeyflasche erschien erneut in seiner Hand und Hickory bemerkte, wie die Finger des Privatdetektivs leicht zitterten, als er die Flasche ruckhaft zum Mund führte. Del Gado straffte sich und versuchte so etwas wie Entschlossenheit vorzutäuschen. Er sagte: »Ziehen Sie Ihre Waffe, Sir.«

Nathan nickte beiläufig und zog zur Bestätigung seine nagelneue Smith & Wesson No. 3 Kaliber .44 aus dem Halfter, die jetzt schwer und beruhigend in seiner Hand lag. Er hatte sie für teures Geld am Tag seiner Abreise in Chicago erstanden. Damit gedachte er in vollem Ernst dem Whistler den Garaus zu machen. Ein ungewohntes Gefühl der Kälte überkam ihn. Ein rundes, schwarzes Loch direkt über den Augen würde genügen. Peng! Dann würde der Whistler aufhören zu pfeifen, aufhören, junge, unschuldige Frauen zu morden. Der gezielte Schuss eines Gentlemans. Diskret und sauber. So sollte es sein.

Nathan glitt vorsichtig aus dem Sattel. Er war jetzt hellwach, alles Dösige, Müde, Selbstmitleidige, das eben noch Geist und Körper beherrscht hatte, war von ihm abgefallen. Er war zu allem bereit. Er flüsterte ein leises Ave und bekreuzigte sich. Dann hörte er in der Ferne eine Melodie erklingen, ein Pfeifen, das das dumpfe Rauschen des Missouri übertönte. Sein Herz begann heftiger zu klopfen.

Es musste der Whistler sein. Er ging einige Meter weiter. Der Lichtschimmer voraus wurde heller, als hätte jemand Kerzen als Positionslichter entlang imaginärer Claimgrenzen gesetzt, doch als er vorsichtig um die Flussbiegung schritt, sah er nur vier metallene Waschzuber, die wie die vier Zeiger einer Windrose rund um einen alten Planwagen herum ausgerichtet waren. Auf der verwitterten Plane des Wagens stand in feiner, geschwungener Schrift: Gingers wundersame Tinkturen.

In den Waschzubern lagen, sehr zu Nathans blankem Entsetzen, leblos bleiche Frauenkörper. Dazwischen eilte eine große hagere Gestalt pfeifend hin und her, ohne ihn zu bemerken. Nathan hielt den Atem an. Die Gestalt wirkte wie eine unheimliche, menschenartige Spinne, während sie sich nach vorne beugte und an diversen Armaturen seitlich an den Waschzubern justierte. Diese waren durch Schläuche miteinander verbunden, bildeten eine unheimliche Einheit, die für Nathan keinen Sinn ergab. Eine Maschine, ja das musste es sein, vermutlich im Inneren des Planwagens, begann laut zu rattern und keuchend Geräusche von sich zu geben.

Die Flüssigkeit in den Zubern, Nathan bemerkte erst jetzt das helle, unnatürlich leuchtende Blau, das er für Wasser gehalten hatte, schwappte blubbernd über. Die bleichen Arme der toten Frauen begannen sich plötzlich wie von Geisterhand aufzurichten. Ihre Köpfe, schön, aber bleich, bis zu diesem Augenblick reglos am Wannenrand hingesunken, wandten sich zur Seite und starrten auf die Gestalt in ihrer Mitte.

Dann ging unvermittelt die Maschine im Inneren des Planwagens aus. Stille. Das Pfeifen auf den Lippen des Whistlers verstummte. Er begann zu fluchen und wie ein Besessener von einer Wanne zur anderen zu hasten, während die Frauenkörper erneut reglos wurden und ihre Gliedmaßen in ihre Ausgangspositionen zurückglitten.

Nathan stolperte rückwärts und eilte um die Biegung zurück zu Del Gado.

»Fort! Keine Fragen! Der Mann ist der Teufel! Fort!«, war das einzige, was Nathan hervorbrachte.

 

Es dauerte lange, bis er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Zack Del Gado hatte er aus seinen Diensten entlassen und systematisch begonnen, sich in der City of Kansas volllaufen zu lassen. Er trank, bis er nicht mehr konnte und sich hinter dem Gebäude bei den Pferden übergeben musste. Er hatte genug Geld vom alten Mallony erhalten, genug, um dem Whistler bis zum Ende der Welt zu folgen. Doch jetzt diente es dazu, den billigen Fusel fließen zu lassen. Mehr als eine Woche ging dahin, eine Woche, die Nathan trunken und irgendwie fast fiebernd durchlebte, nicht in der Lage, auch nur ein einziges Wort über sein Erlebnis am Missouri zu verlieren. Nutten kamen zu ihm, machten Schmollmünder und rollten mit den Augen, doch er schickte sie fort. Männer beäugten ihn misstrauisch, doch er beachtete sie nicht, selbst dann nicht, als sie ihn rüde ansprachen und aufforderten, die Stadt zu verlassen, da sie seinen dämonischen Blick nicht länger ertragen konnten.

Er fühlte sich wie ein Insekt. Gefangen in Bernstein. Er konnte nicht weiter – denn gegen Teufelswerk wie das, das er an der Biegung des Missouri mit eigenen Augen gesehen hatte, war er nicht gewappnet gewesen. Er konnte aber auch nicht zurück nach Chicago, denn er würde dem alten Mallony kaum klarmachen können, dass er zwar den Mörder seiner Tochter gefunden, ihn aber nicht zur Strecke gebracht hatte. Ein heimlicher Schuss aus dem Hinterhalt, den er ebenso wie einen Auftragsmörder in Erwägung gezogen hatte, war moralisch von einer derartig ehrlosen Niedertracht, dass er diesen Gedanken, kaum dass er ihm gekommen war, wieder verworfen hatte.

Als Nathan schließlich ernsthaft an das Unausweichliche dachte, an Selbstmord, da erschien mit einem Mal ein fahrender Händler im Saloon und orderte lautstark eine Runde für alle. Er habe gerade das unglaublichste Erlebnis seines Lebens gehabt, rief er prahlend in den Raum hinein. Er sei vor wenigen Stunden Zeuge geworden, wie ein Mann, der eine Maschine aus der Asservatenkammer des Sheriffs der benachbarten Stadt Lawrence gestohlen habe, von eben jenem Vertreter des Gesetzes nach einer wilden Verfolgungsjagd gestellt und anschließend unter dem strengen Blick des Deputys mehrere tote Frauenkörper vor den Augen eines staunenden Publikums wieder zum Leben erweckt habe.

Nathan stand plötzlich senkrecht. Die Flasche Whiskey, noch eben fest umklammert, entglitt seinen Fingern.

»Wo, Mann?«, rief er und trat torkelnd vor den Händler. »Wo war das?«

»L-lawrence.« Der Händler deutete stotternd nach Westen. »Die Stadt heißt Lawrence.«

Nathan stolperte trunken durch die Schwingtür hinaus ins Tageslicht. Endlich. Endlich ein Hinweis. Im Freien erbrach er sich. Gott hatte ihm eine zweite Chance gegeben.