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Paraforce Band 51

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Das Geheimnis zweier Ozeane 01

Ein unterbrochenes Gespräch

Bald musste der Morgen grauen. Aus einem Zimmer im vierzehnten Stockwerk stahl sich durch eine Ritze zwischen schweren Fenstervorhängen ein schwacher, kaum wahrnehmbarer Lichtstrahl in die neblige Finsternis des Hofes.

Im Raum herrschte Halbdunkel. Der helle Lichtkegel einer kleinen Tischlampe fiel auf eine Landkarte, die auf dem Tisch ausgebreitet lag.

Zwei Männer beugten sich über die Karte. Ihre Gesichter waren schlecht zu erkennen, im Halbdunkel sah man nur die Augen schimmern: das eine Augenpaar, schmal und schräg gestellt, wirkte trübe und gleichgültig, das andere Paar, groß und glänzend, schien tief eingesunken. Die Gestalten der beiden Männer zeichneten sich gegen den Hintergrund des Zimmers nur mit schwachen Konturen ab.

Der am Tisch sitzende Mann war klein und schlank; seine Haltung und sein Gebaren zeigten den Offizier. Er hob den Kopf und wandte sich, ohne seinen Finger von einem Punkt in der Mitte des Atlantischen Ozeans wegzunehmen, an den anderen:

»Sind die genauen Koordinaten der Station in dem Sargassomeer bekannt?«

»Nein, Kapitän!«

»Ich habe Sie wiederholt gebeten, Krok, mich nie so zu nennen!«

Krok richtete sich auf. Er war sehr groß und breitschultrig. »Verzeihen Sie, Matwej Petrowitsch«, sagte er mit heiserer Stimme, »ich vergesse es immer wieder.«

»Ihre Vergesslichkeit kann uns einmal sehr teuer zu stehen kommen. Wenn Sie für mich Krok sind, immer nur Krok, dann bin ich für Sie – merken Sie sich das ein für alle Mal – niemand anders als der Ingenieur Matwej Petrowitsch Iwaschew.«

Matwej Petrowitsch sprach ein sehr exaktes Russisch. Die letzte Silbe eines Wortes sprach er betont hart und klar aus, was sofort den Ausländer verriet.

»Ganz recht, Matwej Petrowitsch. Es soll nicht mehr vorkommen.« Krok verneigte sich leicht und fuhr fort: »Ich wiederhole: Noch kenne ich die Koordinaten nicht, aber ich werde sie an Ort und Stelle erfahren. Die Station muss hier irgendwo liegen.« Er näherte seine breite Hand mit den langen kräftigen Fingern dem hell erleuchteten Kreis auf der Karte und markierte mit einem Bleistift eine Stelle östlich der Bahama-Inseln.

»Nun, das genügt nicht. Sobald Sie die genauen Koordinaten erfahren haben, geben Sie diese der ›Lady Macbeth‹ bekannt. Sie erhalten dann vom Schiff Nachricht, wann die Rettungsgürtel abgeworfen werden. Ihr Rufzeichen ist INA 2, das der ›Lady Macbeth‹ heißt EZIT.«

»Gut, weiß man auf dem Schiff, dass ich von einem Flugboot an Bord genommen werden soll?«

»Natürlich …« Krok schien es, als husche über Matwej Petrowitschs Gesicht ein Lächeln. »Wir werden doch nicht zulassen, dass sich Anna Nikolajewna ihre schönen Augen um den Bräutigam ausweint.«

Krok verneigte sich kühl, schwieg eine Weile und sagte dann mit unsicherer Stimme: »Ich möchte unsere Abmachungen noch einmal wiederholen: Ich habe mich verpflichtet, Ihnen die Koordinaten des ersten längeren Aufenthaltes bekannt zu geben – nichts weiter. Sie dagegen wollten die sofortige Freilassung von Anna Nikolajewna erwirken. Ich hoffe, dass sie jetzt, nachdem ich Ihre Bedingungen angenommen habe, frei ist?«

»Ich zweifle nicht daran. Gleich nachdem wir uns einig geworden waren, habe ich einen Funkspruch abgesandt. Was jedoch unsere Abmachungen betrifft, so erwarten wir von Ihnen die Koordinatenangabe von jedem längeren Aufenthalt des Schiffes während der ganzen Fahrt.«

Krok zuckte zusammen; mit bebender Stimme erwiderte er: »Was? Auf der ganzen Fahrtroute? Wir sprachen doch nur über die erste Station! Und gleich nach meiner Bekanntgabe sollte mich ein Flugboot der ›Lady Macbeth‹ an Bord nehmen. Ich verstehe Sie nicht, Matwej Petrowitsch, Sie stellen jetzt plötzlich neue Bedingungen. Wir hatten doch zuerst etwas ganz anderes besprochen!«

»Aber mein lieber Krok, ist das denn so wichtig? Unser Generalstab hat diese geringe Änderung für den Fall verfügt, dass Ihre erste Meldung durch unvorhergesehene Umstände nicht ausgewertet werden könnte. Wollen wir uns deswegen streiten? Die einzige unangenehme Konsequenz für Sie könnte nur darin bestehen, dass Sie ein paar Tage später als ursprünglich vorgesehen an Bord unseres Schiffes gehen werden.«

»Nein, Matwej Petrowitsch!«, rief Krok erregt. »Jetzt soll ich Sie auf einmal ständig informieren! Aber das ist doch etwas ganz anderes! Das ist zu viel verlangt …!«

»Warum regen Sie sich denn so auf, mein lieber Krok?« Matwej Petrowitsch lächelte geringschätzig. »Ein-, zwei- oder dreimal – das ist doch im Grunde dasselbe. Übrigens, wenn Sie nicht wollen – ich habe noch genügend Zeit, dem Generalstab von Ihrer Ablehnung Meldung zu machen. Anna Nikolajewna wird vermutlich darüber sehr erbittert sein, ihre erst kürzlich gewonnene Freiheit wieder einzubüßen.«

Krok durchmaß mit großen Schritten das Zimmer. Dann blieb er vor dem Tisch stehen und sagte entschlossen: »Ich bin einverstanden. Aber ich muss völlige Gewissheit haben. Geben Sie mir das Ehrenwort eines Edelmannes, eines Samurai, dass von nun ab Anna Nikolajewna nichts mehr mit der Sache zu tun haben wird und dass ich unter allen Umständen das Schiff verlassen kann, bevor es seinen Bestimmungshafen erreicht haben wird.«

»Aber Krok! Sie brauchen nicht im geringsten daran zu zweifeln, dass alle Ihre Wünsche genau erfüllt werden. Ich verbürge mich dafür. Übrigens, wann soll der Bestimmungshafen erreicht werden? Ist Ihnen klar, dass wir das wegen Ihrer zweiten Forderung wissen müssen?«

Krok schwieg, den Kopf auf die Brust gesenkt. Ein schmaler Lichtschein fiel auf seine hohe, mit kleinen Schweißperlen bedeckte Stirn. Er zog ein Taschentuch hervor und wischte sich, ohne sein Schweigen zu brechen, übers Gesicht.

»Nun, warum zögern Sie?«, fragte Matwej Petrowitsch beharrlich weiter. »Wie können wir Sie an Bord unseres Schiffes nehmen, ohne zu wissen, wie viel Zeit wir zur Verfügung haben?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Krok mit dumpfer Stimme und ließ sich, ohne aufzublicken, auf einen Stuhl am anderen Ende des Tisches fallen.

»Das glaube ich Ihnen nicht!« erwiderte Matwej Petrowitsch scharf und schlug mit der Handfläche auf die Karte. »Sie fordern von mir die Erfüllung einer Verpflichtung und binden mir gleichzeitig die Hände. Das ist unlogisch! Und schließlich, was für ein Unterschied besteht schon zwischen der Information über die Koordinaten und der über den Zeitpunkt der Ankunft? Warum können Sie die erste geben und die zweite nicht? Dieser Widerspruch ist typisch für die weite slawische Seele.«

Matwej Petrowitsch lehnte sich verdrießlich in seinem Stuhl zurück und trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte.

»Machen Sie keinen Unsinn, Krok!«, fuhr er nach kurzer Pause energisch fort. »Ich muss den Termin wissen. Wenn Sie ihn mir nicht nennen, ist unsere Abmachung null und nichtig. Und nicht nur die Abmachung! Wir werden uns dann um Ihr Wohlergehen nicht weiter kümmern. Vergessen Sie nicht, dass uns der alte Abrossimow alle Ihre Quittungen übergeben hat. Und Ihr Bericht an mich befindet sich auch in sicheren Händen … Nun?« Matwej Petrowitsch runzelte die Stirn. »Der. Termin! Ich muss den Termin wissen! Wegen einer solchen Bagatelle brauchen sich doch zwei Freunde nicht zu überwerfen!«

Krok sprang vom Stuhl auf und schritt hastig durchs Zimmer. Plötzlich blieb er vor dem Tisch stehen und sagte mit brüchiger Stimme:

»Gut. Aber genau weiß ich es nicht … Ich habe nur gehört, dass es der 23. August sein soll.«

Wie von einer Tarantel gestochen, schnellte Matwej Petrowitsch vom Stuhl, ließ sich aber gleich wieder langsam auf den Sitz sinken. Sein braungelbes Gesicht erstarrte, die Augen verschwanden völlig hinter den schrägen Lidern.

»So!«, murmelte er, nur mit Mühe seine Erregung meisternd. »Der 23. August? Das … das ist ja höchst interessant!«

Nach einer kleinen Pause fuhr er, schon wesentlich ruhiger, fort:

»Nun wäre wohl alles klar, mein lieber Krok; bis zum 23. August haben wir natürlich genügend Zeit, Sie vom Schiff zu holen. Die ‚Lady Macbeth’ oder ein anderes unserer Schiffe wird rechtzeitig mit Ihnen in Verbindung treten …« Und als habe er Kroks Anwesenheit vollkommen vergessen, wiederholte er mit starr in die Ferne gerichtetem Blick nachdenklich und langsam: »Der 23. August … Seltsam! Ist es nur ein Zufall, oder wissen sie etwas?«

Endlich schien Matwej Petrowitsch sich wieder vollends gefasst zu haben. Er ließ einen Bleistift durch seine Finger gleiten und wechselte das Gesprächsthema:

»Was haben Sie vor, Krok, wenn Sie zu uns kommen? Sie sind doch dann ein reicher Mann …« Mit gezwungenem Lächeln fügte er hinzu: »… und der Besitzer einer entzückenden Frau und eines ehrenwerten Schwiegervaters.«

»Das weiß ich noch nicht, Matwej Petrowitsch«, antwortete Krok zögernd, »vielleicht fahre ich nach Amerika. Man hat mir dort wiederholt eine Tätigkeit angeboten.«

»Aber mein lieber Krok!«, sagte Matwej Petrowitsch gekränkt. »Wenn Sie arbeiten wollen, warum denken Sie dann nicht daran, dass man Sie als tüchtigen Ingenieur und Fachmann auf dem Gebiet der Düsenmotoren auch in meinem Lande willkommen heißen wird? Ich hoffe, wenn Sie erst einige Zeit bei uns gelebt haben, werden sich Ihre Ansichten und Pläne schon ändern … Nun, und jetzt kehren wir zur Sache zurück.« Matwej Petrowitsch beugte sich über die Karte und fuhr fort: »Beim nächsten für uns günstigen Aufenthalt – in der Straße von Gibraltar – erwartet Sie …«

Plötzlich, ohne zu Ende zu sprechen, hob er den Kopf und horchte. Krok schaute zur Tür und erstarrte. Durch die nächtliche Stille drang ein schwaches Geräusch.

Mit einer katzenartigen Bewegung schnellte Matwej Petrowitsch vom Stuhl hoch.

»Achtung«, flüsterte er. »Alle Papiere und Unterlagen über die Seefahrt vernichten!«

Er zog aus der Seitentasche seines Überrocks einige dünne Zettel, die mit Zahlen und Zeichnungen bedeckt waren, und warf sie auf den Tisch. Dann stürzte er in eine Zimmerecke, zog hastig aus einem hohen Schrank einen Kasten heraus und schüttete dessen Inhalt ebenfalls aus.

Währenddessen wühlte Krok mit zitternden Händen in seinen Taschen. Sein fahriges Tun unterschied sich auffallend von Matwej Petrowitschs ruhigen und beherrschten Bewegungen. Krok betastete seine Taschen, nahm hastig vom Tisch bald den einen, bald den anderen Zettel, las ihn durch, steckte ihn in die Tasche und zerrte ihn wieder heraus.

»Glauben Sie, dass … sie zu uns wollen?«, fragte er flüsternd mit schwacher, stockender Stimme.

»Ja!«, sagte Matwej Petrowitsch kurz und zog unter dem Bett eine große emaillierte Schüssel hervor.

Im Vorzimmer klingelte es. Krok wankte und stützte sich auf die Tischkante. Sogar im Halbdunkel des Zimmers konnte man sehen, wie blass er geworden war.

»Werfen Sie alle Papiere in die Schüssel!«, befahl Matwej Petrowitsch.

Krok fühlte, dass seine Hände ihm nicht mehr gehorchten. Er knüllte die auf dem Tisch liegenden Papiere zusammen und lief damit zur Schüssel. Einige Zettel fielen raschelnd auf den Boden.

»Sind Sie wahnsinnig geworden!« zischte Matwej Petrowitsch und hob die Zettel auf. »Sie bringen uns in des Teufels Küche!«

Es klingelte wieder, diesmal lauter und anhaltender. »Zünden Sie schnell die Papiere an und werfen Sie den Mantel um!«

Matwej Petrowitsch schob mit einer Kraft, die man bei ihm nicht vermutet hätte, einen schweren Bücherschrank vor die Tür. Aus dem Vorzimmer hörte man einen dumpfen Schlag, dann noch einen und das Splittern von Holz. In Kroks zitternden Händen zerbrachen die Zündhölzer, flammten auf und erloschen wieder.

»Zum Teufel!«, fluchte Matwej Petrowitsch. »Sind Sie immer so feige? Geben Sie die Streichhölzer her! Ziehen Sie Ihren Mantel an und durchs Fenster! Los!«

Im Vorzimmer waren schon Schritte zu hören. Eine Stimme rief befehlend:

»Iwaschew, machen Sie auf! Wir wissen, dass Sie hier sind!«

In der Zimmerecke züngelte eine Flamme hoch und beleuchtete für einen Augenblick den mit einem langen, bis an die Knöchel reichenden schwarzen Mantel bekleideten Krok und die schmächtige Figur des anderen.

Matwej Petrowitsch sprang mit einem Satz zum Tisch, löschte die Lampe aus und stieß Krok zum Fenster.

»Ihr Leben ist jetzt kostbarer als das meine«, flüsterte er und drückte ihm eine Schnur in die Hand, die an einem Ende mit einer Schlinge versehen war. »Von Ihnen hängt der Erfolg der Sache ab, der Sieg oder die Niederlage meines Vaterlandes. Bringen Sie sich in Sicherheit! Ich werde die Eingedrungenen, solange es nur geht, aufhalten und Ihnen dann folgen. Springen Sie, und ziehen Sie sofort an der Schlinge!«

Er schob die schweren Vorhänge zur Seite und öffnete das Fenster. Kühle, feuchte Luft drang ins Zimmer, auf das Fensterbrett fielen Regentropfen. Durch den Regenschleier und die Dunkelheit sah man in der Ferne die spärlichen und trüben Lichter einer Leningrader Vorstadt.

Gegen die Tür, vor der der schwere Bücherschrank stand, krachten Schläge.

Krok stand auf dem Fensterbrett, trat unsicher von einem Fuß auf den anderen und klammerte sich mit einer Hand ans Fensterkreuz. Unter ihm gähnte, vierzehn Stockwerke tief, ein dunkler Abgrund.

»So springen Sie doch, Teufel noch mal!« zischte mit vor Wut entstellter Stimme Matwej Petrowitsch und stieß Krok mit aller Kraft in die Tiefe.

Mit einem erstickenden Schrei sauste Krok nach unten, und fast gleichzeitig hörte man etwas knallen, so als sei aus einer Sektflasche der Pfropfen geflogen.

Matwej Petrowitsch schaute aus dem Fenster, lauschte in die Nacht hinaus und nickte zufrieden mit dem Kopf. Dann drehte er sich zur Tür um. Im schwachen Lichtschein des verglimmenden Papierhaufens bemerkte er, wie der Bücherschrank unter dem Ansturm aus dem Vorzimmer bedrohlich schwankte. Matwej Petrowitsch stocherte in der Papierasche und stürzte zur Tür.

In diesem Augenblick riss ein mächtiger Schlag die Tür aus den Angeln und warf den Schrank um. Das Poltern des fallenden Schrankes vermischte sich mit dem Klirren zerspringenden Glases. Über Tür und Schrank hinweg stürzten einige Männer in den Raum. Im Schein aufflammender Taschenlampen sahen sie auf dem Boden verstreut Bücher und Glasscherben. Inmitten dieses Chaos lag, vom umgefallenen Schrank fast völlig verdeckt, Matwej Petrowitsch mit ausgebreiteten Armen. Aus einer Kopfwunde rann Blut über sein Gesicht.

»Jerofejew, Petrow! Befreit den Verletzten!«

»Maximow, einen Krankenwagen! Kowalenko, helfen Sie mir das Feuer löschen! Herunter mit den Fenstervorhängen!«

Ein junger Leutnant der Staatlichen Sicherheit lief auf die Schüssel zu. Er riss aus Kowalenkos Händen einen Fenstervorhang und warf ihn über die brennenden Papiere.

»Halten Sie so lange den Vorhang darüber, bis die Flamme ganz erstickt ist«, wandte er sich an seinen Gehilfen. »Aber drücken Sie nicht die Papiere zusammen, damit die Asche erhalten bleibt …«

Der Leutnant ging auf den Verletzten zu, der jetzt auf einem breiten Sofa lag. Jerofejew und Petrow wuschen ihm die Kopfwunde aus. Matwej Petrowitsch stöhnte leise und öffnete die Augen. Das Erste, was er sah, war ein junger Leutnant, der über ihn gebeugt stand und aufmerksam sein Gesicht betrachtete.

»Guten Tag, Hauptmann Majeda … Geht’s schon besser?«

Der Angeredete hob den Kopf, ließ seinen Blick schnell durchs Zimmer schweifen und schloss wieder die Augen. Sein Kopf sank schwer aufs Kissen zurück.

»Ich protestiere … dieser rohe Überfall … Ich verlange meine sofortige Überführung ins Konsulat«, brachte er mit schwacher Stimme hervor.

»Die Wohnung des Ingenieurs Iwaschew, eines sowjetischen Staatsangehörigen, genießt nicht, soviel mir bekannt ist, die Rechte der Exterritorialität«, entgegnete lächelnd der Leutnant. »Sie hätten die Tür öffnen und Ihren Namen nennen sollen, Herr Hauptmann. Vielleicht wäre dann die Zeremonie des Kennenlernens weniger schmerzvoll für Sie gewesen.«

Matwej Petrowitsch antwortete nichts darauf. Er lag reglos auf dem Sofa, und seine Augen blieben geschlossen.

»Er scheint die Besinnung verloren zu haben«, bemerkte Jerofejew.

Maximow trat in den Raum.

»Der Krankenwagen wird in zehn Minuten hier sein, Genosse Leutnant«, meldete er.

»Gut! Man wird ihn schon wieder zu sich bringen. Legen Sie ihm vorerst einen Notverband an. Dann durchsuchen Sie dieses Zimmer. Jerofejew, Petrow und Kowalenko kontrollieren die anderen Räume. Sergejew bleibt bei mir. Alle gefundenen Papiere hierher auf den Tisch … Alles schnell und gründlich machen!«

Der Leutnant blickte in die Zimmerecke. Die mit einem Fenstervorhang bedeckte Schüssel qualmte nicht mehr. Plötzlich bemerke der junge Offizier, wie sich die Vorhänge des zweiten Fensters im Winde bewegten. Er stürzte dorthin.

»Sergejew, haben Sie das Fenster geöffnet?«

»Nein, Genosse Leutnant. Wahrscheinlich war es schon vorher offen.«

Der Leutnant riss die Fenstervorhänge auseinander und blickte hinaus. Draußen war es stockfinster.

Der Offizier schlug das Fenster zu.

»Sergejew, eine Lampe!«

Im hellen Licht der Tischlampe studierte der Leutnant mithilfe einer scharfen Lupe jeden Quadratzentimeter des Fensterbretts.

»Hier hat jemand gestanden … erst vor kurzem … Selbst der Regen hat die Spuren noch nicht abgewaschen«, sagte er leise.

Mit einem Federmesser hob er vom Fensterbrett ein winziges schwarzes Plättchen ab, nicht größer als eine Zehnkopekenmünze, und legte es auf die Handfläche.

»Asche … Erde … Tabak …« Er roch daran und fügte hinzu: »Von einem Zigarettenstummel, der am Absatz oder an der Sohle klebte.«

»Klar, Genosse Leutnant«, sagte Sergejew, die Lampe in der Hand, »hier hat bestimmt jemand gestanden.«

»Ganz schön, aber wer?«, fragte der Leutnant nachdenklich.

Wieder untersuchte er das Fensterbrett mit der Lupe.

»Hier stand ein Mann …«, der Leutnant sprach leise, aber seine Stimme klang immer überzeugter, »hier stand ein Mann mit großen Füßen. Aber wer war es? Und wo ist er geblieben? Er konnte sich doch nicht mit einem Seil vom vierzehnten Stockwerk hinunterlassen! Das ist unmöglich!«

Der Leutnant öffnete wieder das Fenster und untersuchte mit der Lupe den Sims. Hier waren keinerlei Spuren zu sehen.

»Sergejew, gehen Sie mit Maximow hinunter und schauen Sie sich mal im Hof die Stelle unter dem Fenster an.«

Der Offizier riss aus seinem Notizbuch eine Seite heraus, wickelte darin das dünne Plättchen aus Erde und Tabak ein und legte das winzige Päckchen zwischen die Seiten des Notizbuches. Dann wandte er sich der Schüssel zu. Er entfernte den Vorhang und erblickte darunter ein Häufchen halbverkohlter Papiere, die er vorsichtig auf dem Tisch ausbreitete und aufmerksam betrachtete. Dabei fiel sein Blick auf die Karte, die auf dem Tisch lag, und blieb auf einer mit Bleistift umrandeten Stelle östlich der Bahama-Inseln im Sargassomeer haften. Er überlegte einen Augenblick und nahm einen der halb verkohlten Zettel. Darauf waren noch Fragmente geografischer Breiten- und Längenbestimmungen, Grade, Minuten und Sekunden erhalten geblieben. Der Leutnant vertiefte sich in das Studium des Zettels.

Plötzlich ließ er ihn auf den Tisch fallen, drehte sich jäh um und sprang auf. Im gleichen Augenblick rollten zwei Körper, zu einem Knäuel verschlungen, über den Teppich. Neben ihnen fiel mit leisem Klirren ein finnisches Messer zu Boden.

Ein paar Sekunden später lag Hauptmann Majeda, die Hände auf dem Rücken gefesselt, reglos am Boden.

Der Leutnant rief Jerofejew herbei. Beide trugen den Gefesselten aufs Sofa. Möglich, dass der Japaner dieses Mal wirklich die Besinnung verloren hatte.

Sergejew und Maximow kehrten zurück. Sie brachten einen langen schwarzen Mantel mit, der mit zahlreichen Knöpfen zu verschließen war. Eine Unmenge dünner, langer und elastischer Stäbe, die vertikal vom Kragen bis zum Saum angeordnet waren, bildeten so etwas wie das innere Gerippe eines riesigen Schirmes. An den unteren Enden dieser Stäbe waren feste Seidenschnüre befestigt, die alle in einem im Mantel verborgenen, breiten ringförmigen Gürtel, der ebenfalls aus Seide war, zusammenliefen.

»Wo habt ihr das gefunden?«, fragte der Leutnant, den seltsamen Fund erstaunt betrachtend.

»Genau unter diesem Fenster, Genosse Leutnant«, antwortete Sergejew. »Das Ding hing auf einem Baum. Es hatte sich im Astwerk verfangen.«

»Jetzt ist alles klar«, sagte der Leutnant. »Das hier ist ein kleiner Fallschirm. Damit ist der andere Verbrecher, vielleicht der gefährlichere von beiden, aus diesem Zimmer geflohen.«

Auf der Straße ertönte lautes Hupen. Der Krankenwagen war eingetroffen. Hauptmann Majeda wurde in das Gefängnislazarett eingeliefert; Jerofejew und Kowalenko begleiteten ihn.

Der Leutnant und seine zurückgebliebenen Kameraden setzten indessen die gründliche Haussuchung fort.

Fortsetzung folgt …

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