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Der Welt-Detektiv Band 6

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Fantomas – Kapitel 2-3

Sie gingen in den kleinen Bahnhof hinein. Charles Rambert, dankbar für etwas Schutz vor der Kälte, stampfte mit den Füßen auf und verursachte dadurch etwas Lärm in dem leeren Warteraum. Ein Gepäckträger erschien.

»Wer zum Teufel verursacht einen solchen Lärm«, begann er wütend. Doch als er Thérèse sah, brach er sofort ab. »Ah, Mademoiselle Thérèse«, sagte er respektvoll mit einer für die Landbevölkerung typischen Herzlichkeit, »schon auf? Sind Sie gekommen, um jemanden zu treffen oder wollen Sie verreisen?«

Während er sprach, schaute der Gepäckträger neugierig zu Charles Rambert, dessen Ankunft in diesem kleinen Ort vor zwei Tagen eine Sensation auslöste, von welcher die Leute in der Nachbarschaft mit wenigen Ausnahmen hörten.

»Nein, ich verreise nicht«, erwiderte Thérèse. »Ich begleite Monsieur Rambert, der hierher gekommen ist, um seinen Vater zu treffen.«

»Aha, Sie treffen Ihren Papa, Monsieur. Kommt er von weit her?«

»Von Paris«, antwortete Charles Rambert. »Ist der Zug schon angekündigt?«

Der Mann zog eine Taschenuhr hervor und blickte darauf.

»Es wird noch etwa 20 Minuten dauern. Aufgrund der Tunnelarbeiten fahren die Züge vorsichtig. Dadurch kommt es zu der Verspätung. Aber Sie hören die Glocke läuten, wenn der Zug über den Bahnübergang kommt. Drei Minuten später fährt er in den Bahnhof ein. Nun, Mademoiselle, ich muss wieder an meine Arbeit.« Der Mann verließ die beiden.

Thérèse wandte sich Charles Rambert zu.

»Gehen wir auf den Bahnsteig? Dann sehen wir den Zug ankommen.«

Sie verließen den Warteraum und begannen auf dem Bahnsteig hin und her zu laufen.

Thérèse beobachtete die ruckartigen Bewegungen der Zeiger der Uhr und lächelte ihrem Begleiter zu.

»Nur noch fünf Minuten, und dein Vater wird hier sein! Nur noch vier Minuten! Ah! Dort kommt er!« Sie wies auf einen Anstieg in der Ferne, wo eine leichte weiße Rauchfahne sich gegen klar und deutlich das Blau des Himmels abhob und zu einer Wolke wurde. »Kannst du es sehen? Das ist der Dampf der Lokomotive, welcher aus dem Tunnel kommt.«

Bevor sie zu Ende gesprochen hatte, hallte das zitternde Schwingen der Glocke durch die leere Bahnstation wider.

»Ah!«, sagte Charles Rambert, »endlich!«

Während der eintönige schwingende Ton der Glocke weiterhin zu hören war, eilten die zwei Gepäckträger, welche mit dem Bahnhofsvorsteher das gesamte Eisenbahnpersonal in Verrières bildeten, hastig auf den Bahnsteig und stellten Rollwagen bereit, um mögliches Gepäck transportieren zu können.

Ungeheuerlich schnaufend verringerte die Lokomotive die Geschwindigkeit, der schwere Zug wurde langsamer, hielt schließlich an und brachte pulsierendes Leben in die Station von Verrières, wo nur einen Augenblick zuvor fast absolute Stille herrschte.

Der Erste-Klasse-Waggon hielt unmittelbar vor Charles and Thérèse. Auf dem Trittbrett stand Etienne Rambert, ein großer, älterer Mann, eine vornehme Erscheinung mit stolzer und energischer Attitüde, mit außergewöhnlich scharfen Augen und einer ungewöhnlich hohen und intelligenten Stirn. Als er Thérèse und Charles erblickte, griff er sein Gepäck und war im Handumdrehen von der Plattform gesprungen. Er ließ seine Reisetasche fallen, warf das Bündel Teppiche auf eine Bank und packte Charles bei den Schultern.

»Mein Junge!«, rief er aus, »mein lieber Junge!«

Obwohl er bisher so wenig Zuneigung zu seinem Kind gezeigt hatte, war es offensichtlich, dass es dem Mann sehr schwer fiel, seine Gefühle zurückzuhalten. Monsieur Etienne Rambert schien wirklich bewegt zu sein, seinen Sohn als jungen erwachsenen Mann zu sehen.

Für seinen Teil blieb auch Charles Rambert nicht ungerührt.

Als ob der plötzliche Griff dieses fast Fremden, der jedoch sein Vater war, eine Welt von Erinnerungen in ihm geweckt hatte, wurde er sehr blass, und seine Stimme stockte, als er antwortete: »Papa! Lieber Papa! Ich bin so froh, Sie zu sehen!«

Thérèse hatte sich taktvoll etwas abseits gestellt. Monsieur Rambert hielt seinen Sohn noch immer bei den Schultern fest und trat einen Schritt zurück, um ihn besser betrachten zu können.

»Lass dich anschauen, aus dir ist ein richtiger Mann geworden! Wie du dich verändert hast, mein Junge! Du bist das, was ich mir schon immer erhofft hatte: groß und stark! Ist alles in Ordnung, mein Sohn? Geht es dir gut? Du siehst müde aus.«

»Ich habe nicht gut geschlafen«, erklärte Charles mit einem Lächeln. »Ich hatte Angst, nicht pünktlich aufzuwachen.«

Den Kopf zur Seite drehend sah Monsieur Rambert Thérèse und streckte seine Hand aus.

»Wie geht es dir, meine kleine Thérèse?«, rief er aus. »Du hast dich sehr verändert, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe. Ich sehe ein kleines Kind vor meinem geistigen Auge, und siehe da, jetzt ist es eine erwachsene junge Dame. Durchaus! Ich muss meiner lieben alten Freundin, deine Großmutter, meinen Respekt aussprechen. Ist im Schloss alles in Ordnung?«

Thérèse gab Monsieur Rambert freundlich die Hand und bedankte sich höflich für seine Worte.

»Großmutter geht es gut. Sie trug mir auf, Sie um Entschuldigung zu bitten, da sie Sie nicht persönlich in Empfang nehmen kann. Ihr Arzt ermahnte sie, nicht so früh aufzustehen.«

»Selbstverständlich nehme ich die Entschuldigung deiner Großmutter an, mein Liebes. Außerdem habe ich ihr für ihre Güte Charles gegenüber und für ihre Gastfreundschaft, welche sie mir für ein paar Tage gewährt, zu danken.«

In der Zwischenzeit hatte der Zug den Bahnhof verlassen und ein Gepäckträger kam auf Monsieur Rambert zu.

»Werden Sie Ihr Gepäck selbst tragen, Monsieur?«

Zu den materiellen Dingen des Lebens zurückgekehrt, betrachtete Etienne Rambert sein Gepäck, das der Gepäckträger aus dem Gepäckwagen geholt hatte.

»Du meine Güte!«, begann er, doch Thérèse unterbrach ihn.

»Großmama sagte, dass sie jemanden am Morgen zum Bahnhof schicken würde, um Ihr schweres Gepäck abzuholen und sie Ihre Koffer sowie die kleinen Pakete im Einspänner mitnehmen können.«

»Wie bitte? Deine Großmutter hat sich die Mühe gemacht, ihre Kutsche hierher zu schicken?«

»Es ist ein langer Weg nach Beaulieu, wie Sie sicherlich wissen«, erwiderte Thérèse. »Fragen Sie Charles. Wir kamen zu Fuß und der Weg wäre nach einer ganzen Nacht im Zug zu anstrengend für Sie.«

Die drei hatten den Bahnhofvorplatz erreicht, und Thérèse blieb überrascht stehen.

»Wie das denn?«, rief sie, »die Kutsche ist nicht hier? Jean hat doch damit begonnen, sie fertig zu machen, als wir das Schloss verließen.«

Monsieur Etienne Rambert legte eine Hand auf die Schulter seines Sohnes, betrachtete ihn mit einem liebevollen, allumfassenden Blick und lächelte Thérèse zu.

»Er hat sich bestimmt verspätet, Liebes. Ich sage euch, was wir tun werden. Da deine Großmutter einen Wagen für mein Gepäck schicken will, sehe ich keine Veranlassung, meine Koffer jetzt schon mitzunehmen. Wir können alles in der Gepäckaufbewahrung lassen und zu Fuß zum Schloss gehen. Wenn ich mich recht erinnere, und ich habe noch ein gutes Gedächtnis, gibt es nur eine Straße dorthin. So werden wir auf Jean treffen und können den Weg im Wagen fortsetzen.«

Einige Minuten später machten sich die drei auf den Weg nach Beaulieu. Monsieur Rambert lief zwischen den zwei jungen Leuten. Er hatte Thérèse galant seinen Arm angeboten, welche aufgrund dieser Aufmerksamkeit ein wenig stolz sein konnte, dass sie nun als eine erwachsene junge Dame galt. Auf der anderen Seite seines Vaters antwortete Charles auf die ihm unaufhörlich gestellten Fragen.

Monsieur Etienne Rambert genoss den Spaziergang am ruhigen Morgen durch die friedliche Landschaft. Voller Wehmut erkannte er jede Straßenbiegung, jedes Stück Landschaft wieder.

»Es war eine gute Idee, mit 60 Jahren und mit einem großen 18-jährigen Sohn hierher zurückzukommen«, sagte er mit einem Lachen. »Und ich erinnere mich an die guten Zeiten im Schloss Beaulieu, als ob es gestern gewesen wäre. Madame de Langrune und ich werden über eine Menge Erinnerungen zu erzählen haben. Oh Gott! Es muss vierzig Jahre her sein, als ich das letzte Mal diesen Weg entlang gegangen bin, und doch erinnere ich mich an jedes einzelne Stück. Sag mal, Thérèse, ist es nicht so, dass wir das Schloss direkt sehen können, wenn wir dieses kleine Wäldchen passiert haben?«

»Ganz richtig«, antwortete das Mädchen mit einem Lachen. »Sie kennen die Gegend sehr gut, Monsieur.«

»Ja«, sagte Etienne Rambert, »wenn man in die Jahre kommt, kleine Thérèse, erinnert man sich gern an die glücklichen Tage seiner Jugend. Die jüngsten Ereignisse merkt man sich nicht so genau. Es ist höchstwahrscheinlich so, Liebes, dass sich das menschliche Herz weigert, alt zu werden, um die Bilder aus der Kindheit aufzubewahren.«

 

***

 

Für ein paar Minuten blieb Monsieur Rambert stumm, als ob er in wehmütige Erinnerungen verfallen war. Er erholte sich bald und schüttelte die leichte Tristesse ab, die in seinem Geist durch Erinnerungen an die Vergangenheit hervorgerufen wurde.

»Warum wurde die Parkumzäunung geändert«, rief er. »Hier ist eine Mauer, die früher nicht hier war. Es gab nur eine Hecke.«

Thérèse lachte.

»Ich wusste gar nichts von der Hecke«, sagte sie. »Ich habe immer nur die Mauer gesehen.«

»Müssen wir zum Haupteingang«, fragte Monsieur Rambert, »oder hat deine Großmutter ein weiteres Tor anbringen lassen?«

»Wir gehen zu den Nebengebäuden«, antwortete das Mädchen. »Dann werden wir hören, warum Jean nicht zum Bahnhof gekommen ist, um uns zu treffen.«

Sie öffnete eine kleine Tür, halb versteckt unter Moos und Efeu, der die Mauer um den Park bedeckte. Bevor Monsieur Rambert und Charles durch die Tür gingen, rief sie: »Jean ist doch mit dem Einspänner losgefahren, die Pferde sind nicht im Stall. Doch wir sind ihm nicht begegnet.« Dann lachte sie. »Armer Jean! Er ist so schusselig! Ich könnte wetten, dass er nach Saint-Jaury gefahren ist, so wie er es jeden Morgen tut, um mich von der Kirche nach Hause zu bringen.«

Die kleine Gesellschaft mit Etienne Rambert, Thérèse und Charles näherte sich dem Schloss. Als sie die Fenster zu Madame Langrunes Gemächern passierten, rief Thérèse fröhlich gelaunt zu ihnen hinauf.

»Wir sind da, Großmutter!«

Doch niemand antwortete.

Am Fenster eines angrenzenden Raumes erschien der Diener Dollon und machte eine Geste, als ob er um Stillschweigen bitten würde.
Thérèse lief ihren Gästen einige Meter voraus, als Madam Langrunes alter Diener die Steintreppe vor dem Schloss hastig auf Monsieur Rambert zueilte.

Dollon schien verstört zu sein. Für gewöhnlich in gewisser Hinsicht dermaßen respektvoll und ehrerbietig griff er Monsieur Rambert am Arm, zog ihn beiseite und gab Thérèse und Charles herrisch zu verstehen, Distanz zu wahren.

»Es ist schrecklich, Monsieur«, rief er aus, »entsetzlich. Etwas Furchtbares ist passiert. Wir haben gerade die Marquise tot … ermordet … in ihrem Zimmer aufgefunden!«

Fortsetzung folgt …

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