Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Brasada – Folge 26

Der Renegat

Als die Nacht über das Land am Canadian-River fällt, bricht der Stier durch das Buschwerk, welches hier am Flussufer besonders dicht und hochgewachsen wuchert. Immer wieder hebt er die schweren Schultern, schüttelt seinen Schädel und wittert kampflustig in die Dunkelheit hinein. Aber nichts geschieht, tiefe Stille lastet über dem Land am Fluss, die nur vom Rauschen und Glucksen des Wassers durchbrochen wird. Deshalb trottet er jetzt gemächlich zum Canadian hin, beugt sich am Ufer vor und taucht sein Maul in die schlammbraunen Fluten.

Dieser alte Longhornbulle ist nicht nur ein gewaltiges Tier, sondern auch ein Einzelgänger. Von der Herde verstoßen ist aus diesem wilden Brasadarind ein Renegat geworden, der alles und jeden sofort angreift. Sein dunkelgraues, langhaariges Fell ist am Rücken mit Moos bedeckt und an der linken Flanke zerfetzt. Darunter ist eine große Wunde mit dunkelrotem, verschorftem Fleisch zu sehen, die vom Angriff eines Wolfsrudels oder eines Jaguars herrührt.

Dass dieser Bulle jetzt trotzdem am Ufer des Flusses steht und säuft, zeigt seine ganze Gefährlichkeit. Gewiss gibt es jetzt irgendwo im Land eine Raubkatze oder ein paar Wölfe, die regelrecht in den Boden gestampft oder von Hörnern durchbohrt wurden. Mit seinem tonnenschweren Körper, den stämmigen Beinen und den Hornspitzen, die mehr als sieben Fuß auseinander ragen, ist er ein fürchterlicher Gegner und es gibt in der ganzen Brasada sicherlich keine Kreatur, die ihn besiegen könnte.

Außer …

***

Mit den ersten Strahlen der Morgensonne treibt der zwölfjährige Lewis Kent den jungen Zuchtbullen und die sechs Milchkühe seines Vaters hinunter zum Canadian. Dort sollen sie den Tag über weiden, da sie in unmittelbarer Umgebung der Farm schon alles abgefressen haben und in diesem sonnenverbrannten Land die Gräser und Sträucher nur spärlich nachwachsen. Ab und an lässt er seine zurechtgeschnittene Weidenrute über den Rücken der Tiere tanzen, da diese seiner Meinung nach viel zu gemächlich zum Fluss trotten. Dabei hüpft er neben den Rindern her und pfeift ein lustiges Lied.

Er hat auch allen Grund dazu, so froh gelaunt zu sein. Heute ist nämlich die Reihe an ihm, die Kühe zu hüten, während seine beiden Brüder zusammen mit den Eltern die Felder pflügen, Holz hacken und einen neuen Viehzaun bauen. Während er also am Fluss liegen wird und mit einem Auge nach den Rindern sieht, indes er seine Angelschnur nach Katzenfischen auswirft, schindet sich der Rest der Familie den Rücken krumm. Denn die glühende Sommersonne der Brasada hat den Boden hartgebacken und das wenige Holz steinhart werden lassen. Deshalb ist es eine wirkliche Schinderei, den Boden zu brechen.

Bei dem Gedanken an seine Brüder verzieht Lewis Kent seinen Mund zu einem schadenfrohen Grinsen. Aber nur für einige Sekunden, denn kaum hat er mit den Tieren jene seichte Stelle am Fluss erreicht, an der die Rinder gefahrlos saufen können, verwandelt sich sein Gesicht in eine Fratze voller Angst und Schrecken.

In seinem Rücken ertönt nämlich ein gewaltiges, gutturales Brüllen.

Als er den Kopf dreht, sieht er einen riesenhaften Longhornbullen, der schnaubend und stampfend direkt auf ihn zukommt. Trotz seiner jungen Jahre verfällt er aber nicht in Panik. Dazu haben ihn die Jahre in der Brasada zu hart gemacht. Nach einem kurzen Rundumblick wirft er sich mit einem mächtigen Satz in die Fluten des Canadian. Es ist die einzige Möglichkeit, den stampfenden Hufen des rasenden Bullen zu entkommen.

Davonlaufen kann er nicht, der Stier hätte ihn sicherlich nach fünfzig Yards eingeholt. Und ein Baum oder einen Felsen, auf den er klettern könnte, gibt es hier weit und breit auch nicht. Also entscheidet er sich für das Wasser, zumal er ein ausgezeichneter Schwimmer ist.

Obwohl das Wasser des Canadians durch die Wärme der Sonne beinahe handwarm ist, überzieht ihn jetzt doch eine Gänsehaut, als er das Schauspiel beobachtet, welches ihm der wilde Stier nun bietet.

Aus vollem Lauf heraus springt er den Zuchtbullen der Kents an.

Ihre Schädel prallen mit solcher Gewalt gegeneinander, dass es weit über den Fluss hallt. Einen Moment verhaken sich die Hörner und es sieht so aus, als könnte die Kraft des jungen Kentbullen den alten Renegaten zurückwerfen. Aber dann dreht ihn dieser mit einer plötzlichen Wendung seines tonnenschweren Körpers zur Seite und stößt dem Jüngeren mit aller Kraft die Hörner in den nun offen dargebotenen Bauch. Mit einem schmatzenden Geräusch zieht der Renegat sein Horn an dem Leib seines Gegners entlang. Dieser fällt zu Boden und stößt einen lang gezogenen Sterbensschrei aus, während ihm die Gedärme aus der aufgeschlitzten Bauchdecke quellen. Mit einem triumphierenden Schnauben wendet sich der Renegat ab und bespringt eine der Kühe, während der verletzte Kentbulle inmitten einer Lache aus gelblich weißem Schleim, Blut und Innereien zuckend verendet.

***

Beißender Tabaksqualm und verbrauchte Luft schlägt Ben Allison entgegen, als er Dunn´s Saloon betritt. Es riecht nach Schweiß, Sattelleder und Rindern. Überall an den Tischen sitzen hartgesichtige Männer, die von Sattelarbeit und dem entbehrungsreichen Leben in der Brasada gezeichnet sind.

Als Ben an die Theke kommt, richten sich alle Augen auf ihn.

Man wartet, bis er sein bestelltes Bier in die Hand nimmt, das Glas an die Lippen führt und sich mit einem großen Schluck den Staub der Brasada hinunterspült. Nachdem er sich mit einem zufriedenen Seufzer den Schaum von den Lippen gewischt hat, erhebt sich einer der Männer von seinem Stuhl.

»Wie ich sehe, ist auch die Drei Balken unserer Einladung gefolgt ist. Damit sind wir dann wohl vollzählig, also lasst uns beginnen.«

Kaum hat der Mann ausgesprochen, als sich auch schon ein weiterer der Anwesenden zu Wort meldet. »So geht es nicht mehr weiter«, ruft er erregt aus und springt ungestüm hoch, während hinter ihm sein Stuhl zu Boden poltert. »Dieses Vieh hat vorgestern meinem besten Zuchtbullen den Bauch aufgeschlitzt und ihn danach regelrecht in den Boden gestampft. Wenn mein Sohn kein so guter Schwimmer wäre, hätte diese Bestie sogar ihn umgebracht. Wir müssen endlich etwas gegen diesen Renegaten unternehmen.«

Beifälliges Gemurmel wird laut.

»So sehe ich das auch«, sagt ein anderer Mann. »Solange dieser verrückte Bulle da draußen noch frei herumläuft, ist keiner mehr seines Lebens sicher. Ein paar umherziehende Comanchen haben mir erzählt, dass er jetzt sogar schon Menschen angreift. So kann es wirklich nicht mehr weitergehen. Da stimme ich Aaron Kent völlig zu.«

Ben Allison nickt zustimmend.

Er kennt solche von der Herde ausgestoßenen Bullen und weiß deshalb um die Gefährlichkeit dieses sogenannten Renegaten. Er weiß aber auch von den Schwierigkeiten, einen solchen rastlos umherziehenden Bullen zu stellen. Jeder der hier anwesenden Männer kämpft tagtäglich um das Überleben seiner Ranch, da bleibt keine Zeit, um Tage oder gar Wochen hinter einem verrückt gewordenen Longhornbullen herzureiten.

»Wie soll es jetzt weitergehen?«, fragt er deshalb.

Ein drahtiger Mann, dessen Haut an die Farbe alten Kupfers erinnert, erhebt sich.

Sein Name ist George W. Littlefield, er ist fünfunddreißig Jahre alt, ein ehemaliger Captain der Texas-Ranger und jetzt Besitzer der riesigen LIT-Ranch.

»Es dürfte wohl jedem von uns klar sein, dass es so nicht weitergehen kann. Dieses verrückte Vieh hat bereits jetzt einen Schaden angerichtet, der in die Tausende geht. Keine Frage, der Bulle gehört weg, aber wer soll sich darum kümmern? Keiner von uns kann es sich leisten, wegen der Jagd auf diesen Renegaten seine Ranch längere Zeit unbeaufsichtigt zu lassen. Dazu gibt es hier in der Gegend immer noch viel zu viel weißes oder rotes Gesindel.«

»Das stimmt, aber hast du auch eine Idee, wie wir das Problem lösen können?«, will Aaron Kent wissen.

Littlefield nickt bedächtig. »In meiner Eigenschaft als einer der Vorsitzenden der hiesigen Viehzüchtervereinigung würde ich vorschlagen, dass wir aus dem Fond, in den wir alle einzahlen, eine gewisse Summe, sagen wir einmal einhundertfünfzig Dollar, entnehmen und sie als Belohnung für diesen Bullen auszusetzen.«

Einen Moment lang herrscht Schweigen, dann pfeift Kent laut und vernehmlich durch die Zähne. »Ist das nicht ein bisschen zu viel? Einhundertfünfzig Mäuse sind ja fast das halbe Jahresgehalt eines guten Cowboys.«

Zustimmendes Gemurmel erfüllt den Saloon.

»Was wollt ihr sonst anbieten? Mit einem Nasenwasser lockt ihr keinen Mann hinter dem Ofen hervor«, gibt Littlefield zu bedenken.

»George hat recht«, mischt sich nun Ben Allison in das Gespräch ein. »Sicherlich sind einhundertfünfzig Dollar viel Geld, aber ihr müsst die Sache auch einmal von einer anderen Seite aus betrachten. Fast jeder von euch hat einen oder zwei Zuchtbullen auf der Weide, die unter Brüdern gut und gerne ein paar Tausender wert sind. Was bleibt davon noch übrig, nachdem der Renegat eure Stiere in den Boden gestampft hat?«

Damit ist alles gesagt. Es vergehen keine fünf Minuten, bis man einstimmig beschließt, die Belohnung öffentlich bekannt zu geben.

***

Als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat, rollt ein einspänniger Kastenwagen von Norden her über den ausgefahrenen Karrenweg, der nach Tascosa führt. Der Wagen wird von Betty Kent gelenkt, neben ihr auf dem Kutschbock sitzt ihr jüngster Sohn Lewis. Obwohl sie mit ihrem Gemüsegarten, den Hühnern und dem, was die Natur ihr an Wild, Beeren und Kräutern bietet, die Familie gut und abwechslungsreich ernähren kann, gibt es dennoch einige Dinge, die man nicht anbauen oder selber herstellen kann, die man einfach ständig dazukaufen muss.

Dazu zählt die Munition für ihre Gewehre ebenso wie Nägel, Salz, Kaffee oder die bei den Kents so heiß begehrten Dosenpfirsiche. Während sich also ihr Mann mit den beiden anderen Söhnen um die Ranch kümmert, ist sie mit Lewis auf dem Weg zum monatlichen Großeinkauf im Store von Tascosa.

Allerdings wird diesmal der Einkauf im Merchandise-Store der Greene Cattle Company dürftig ausfallen. Es wird nur das Allernötigste mitgenommen. Für Sachen wie Süßigkeiten, einen Ballen Stoff oder eine Flasche Whisky ist seit dem Verlust ihres Zuchtbullen kein Geld mehr vorhanden.

Deshalb ist ihr Gesicht auch ziemlich verkniffen, während sie den Wagen nach Tascosa lenkt und zum wiederholten Mal jene Bestie verflucht, die sie beinahe in den Ruin getrieben hat.

Plötzlich reißt sie ein wilder Hufschlag jäh aus ihren trüben Gedanken. Sie zügelt das Pferd und bleibt abwartend auf dem Bock sitzen, während sie in jene Richtung blickt, aus der die Hufgeräusche kommen. Zunächst ist nur eine kleine Staubwolke über den nahen Hügeln zu sehen, aber schon einen Atemzug später kann die Rancherfrau deutlich erkennen, wer da auf sie zukommt.

Es ist weder ein einzelner Reiter, noch ein aufgeschreckter Proghornbock, sondern es ist jener Longhornbulle, den man den Renegaten nennt.

Mit erschreckender Gewalt stürmt er geradewegs auf Betty Kent und ihren Farmwagen zu.

Kalter Schweiß überzieht beim Anblick des tonnenschweren Bullen das Gesicht der Frau. Ihre Handflächen werden feucht, das Blut rast durch ihre Adern und das Herz schlägt ihr bis in den Hals hinauf. Das Gespannpferd beginnt angstvoll zu wiehern und bäumt sich auf. Es ist nur noch eine Frage von Sekunden, bis das Tier samt der Rancherfrau vor lauter Angst verrückt wird.

Der Renegatenbulle stößt indes ein triumphierendes Schnauben aus und stürmt, Kopf und Schwanz gesenkt, unaufhaltsam und wuchtig auf den Wagen zu.

Und in diesem Moment geschieht es.

Donnernd entlädt sich neben Betty Kent jene alte Sharpsflinte, die ihr Mann zur Sicherheit ständig unter der Kutschbank des Wagens liegen hat. Die Kugel gräbt sich genau zwischen den Augen in den Schädel des verrückten Bullen. Ein brennender Schmerz durchfährt den Stier. Blut schießt aus seiner Nase und ein Zittern geht durch seinen massigen Körper.

Dann fällt er einfach zur Seite und stirbt.

Als Betty Kane neben sich blickt, erkennt sie, wie ihr jüngster Sohn unter Tränen das rauchende Gewehr zu Boden senkt. Obwohl die Gefahr nun vorüber ist, beginnt auch sie jetzt zu weinen.

Mit einem lauten Schluchzen nimmt sie Lewis in den Arm.

Copyright © 2010 by Kendall Kane

6 Antworten auf Brasada – Folge 26