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Brasada – Folge 25

Ein großer Tag

Die Herbstsonne überzieht das Land mit ihrem kalten Licht und ein einsamer Bussard flattert aufgeschreckt gen Himmel, als Ben Allison von Osten her auf die Ranch zukommt.

Obwohl ihm der raue Oktoberwind direkt ins Gesicht bläst und sein Atem in der eisigen Luft kleine, grauweiße Wölkchen bildet, ist er allerbester Laune.

Das liegt zum größten Teil an jenen Schriftstücken, die sich zusammengefaltet in der Innentasche seiner schweren Mackinaw-Jacke befinden. Es sind Kreditverträge,
Schuldscheine und Landabtretungen, die ehemals zwischen der Drei Balken und der National State Bank of Texas ausgehandelt wurden. Papiere, durch welche das Schicksal der Ranch bisher von verknöcherten Bürokraten und gewinnorientierten Bankiers mitbestimmt wurde.

Aber damit ist ab heute Schluss.

Ein breites Lächeln überzieht das Antlitz von Ben Allison, als dieser sich erneut das entsetzte Gesicht von Amos Whiteapple in Erinnerung ruft, nachdem er dem Bankier die noch ausstehende Schuldsumme auf den Schreibtisch geblättert hat. Gewiss war das neue Kreditangebot und die damit verbundene Aussicht auf einen neuen Brunnen oder ein größeres Ranchhaus mehr als verlockend, aber die Männer der Drei Balken sind Männer des Sattels. Wie alle Cowboys in diesem Land betrachten sie jede Form von Autorität als Sklaverei, richten ihr Leben nicht nach Besitz und Reichtum aus und sehen die Welt nicht als irdisches Jammertal an. Kurz gesagt, sie lieben nichts mehr als ihre Freiheit und die unstillbare Sehnsucht, dem eigenen Regenbogen bis ans Ende zu folgen.

Sie haben also mit dieser letzten Rate sozusagen ihre Unabhängigkeit wieder zurückgekauft.

Als er die Ranch erreicht hat, steigt Ben Allison aus dem Sattel und führt sein Reittier in den Stall. Er wuchtet den Sattel samt Decke und Zaumzeug auf den obersten Balken der Pferdebox, schüttet eine handvoll Körner in den Trog und klopft seinem Pferd aufmunternd auf die Hinterhand.

Erst dann zieht er den Hut tiefer ins Gesicht und schlägt den pelzgefütterten Kragen seiner Mackinaw-Jacke hoch. Mit jedem Schritt, den er gegen den eisigen Herbstwind auf das Ranchhaus zustapft, wird das Grinsen in seinem Gesicht breiter.

Yeah, heute ist wahrlich ein großer Tag.

***

Bevor er das Haus betritt, klopft er sich mit dem Hut den Staub aus den Kleidern, erst dann schreitet er durch die Tür. In der halbdunklen Küche sitzen zwei Männer am Tisch und spielen Monte.

»Hallo Ben«, sagt Lee Marlowe und schiebt eine Handvoll Streichhölzer über den Tisch. Dabei bleckt er die Zähne und mustert seinen Partner Nigger Bill wie einen hungrigen Büffelwolf, der gerade ein flügellahmes Präriehuhn entdeckt hat.

»Und?«, fragt Marlowe.

Der Schwarze wirft einen letzten Blick auf seine Karten, beginnt zu seufzen und knallt sie auf den Tisch. Danach dreht er sich zu Ben Allison zu und fragt: »He Ben, wenn all die Streichhölzer, die ich bisher an diesen Büffelwolf verloren habe, Dollars wären, müssten selbst die Kinder meiner Kinder noch meine Spielschulden bezahlen. Deshalb frage ich dich, ist es gerecht, dass ein Mensch soviel Kartenglück besitzen kann?«

Ben Allison zuckt mit den Schultern.

»Das weiß ich nicht, aber ich weiß, dass die Drei Balken ab heute schuldenfrei ist. Schuldenfrei, versteht ihr? Ab heute wird gearbeitet, wann wir wollen und nicht, wenn die Bank es will. Das heißt zwar nicht, dass wir uns ab sofort auf die faule Haut legen können, aber es ist doch ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass einem dies alles hier von nun an alleine gehört und einem niemand mehr dreinreden kann.«

»Was hat Whiteapple dazu gesagt?«, will Marlowe wissen.

Bei dem Gedanken daran wird Allisons Gesicht von einem schadenfrohen Grinsen überzogen.

»Er hat mit den Augen gerollt und mich angestarrt wie eine Kuh, wenn es blitzt. Eigentlich verständlich, welcher Banker hat es schon gerne, wenn die Leute plötzlich kein Geld mehr von ihm benötigen?«

»Und was bedeutet das jetzt für uns?«, fragt Nigger Bill neugierig.

»Das ist ganz einfach«, erklärt Ben. »Wenn wir früher in Fort Bascom ein Rind für fünfundzwanzig Dollar verkaufen konnten, gehörten der Bank wegen der Kreditzinsen samt Zinseszinsen davon mindestens acht Dollar. Bei hundert Rindern macht das zum Beispiel achthundert Dollar, eine Summe, die wir uns ab sofort in die eigene Tasche stecken können.«

»Damned!«, flucht der schwarze Cowboy. »Und warum sitzen wir dann immer noch tatenlos hier herum, anstatt die nächste Herde Brush-Rinder nach Fort Bascom zu treiben?«

»Weil wir zunächst einmal bis übermorgen abwarten sollten, was die Army diesen Herbst für Rinder zahlt, welche sie so dringend in der Indianerreservation brauchen. Außerdem denke ich, dass es nach der Sache mit der Bank an der Zeit ist, unsere neue finanzielle Freiheit erst einmal ordentlich zu begießen.«

Mit diesen Worten zieht Ben aus der Tasche seiner schweren Jacke eine Flasche Whisky. Aber es ist nicht die Pumaspucke, die man sonst in den Saloons an die Cowboys ausschenkt, sondern ein richtig feiner Tropfen. Das sieht man der Flasche schon an ihrem noblen Etikett an.

Lee Marlowes schriller Rebellenschrei ist hernach dafür verantwortlich, dass im Umkreis von zweihundert Yards sämtliche Vögel der Brasada verschreckt aufflattern.

***

Seite an Seite reiten Ben Allison, Lee Marlowe und Nigger Bill über den staubigen Überlandtrail nach Tascosa. Als sie die ersten Häuser der Stadt erreicht haben, treten aus dem dunklen Eingang eines lang gezogenen Holzbaus drei Frauen ins Freie.

Sie sind alle nur spärlich bekleidet.

Trotz ihrer fingerdicken Schminke und dem spärlichen Abendlicht ist deutlich zu erkennen, dass diese Frauen ihren Lebenszenit schon längst überschritten haben. Ihre Kleidung ist billig, ihre Gesichter verhärmt und ihr Auftreten mehr als primitiv. Eine von ihnen stellt sich breitbeinig auf den hölzernen Vorbau des Hauses, holt ihre rechte Brust aus dem Mieder und streckt sie den Männern auffordernd entgegen.

»Na Jungs, wie sieht es aus? Bei mir ist alles echt, Lust auf einen Clinch in meinem Bett?«

Allison schüttelt stellvertretend für seine Freunde den Kopf.

»Sorry, wir sind leider schon anderweitig verplant.«

Einen Moment lang scheint die Frau über diese Antwort nachzudenken, aber dann offenbart sie ihr wahres Gesicht.

»Schlappschwanz!«, zischt die Prostituierte, spuckt auf die Straße und dreht sich wieder um.

»Himmel«, seufzt Ben Allison und verdreht dabei beide Augen. »Bevor ich mir diese Fregatten ins Bett hole, erinnere ich mich lieber an meine erste Freundin.«

»Darf man fragen, wie diese Lady heißt?«, will Bill wissen, indessen sie ihre Pferde zum Haus von Richter Dill lenken.

»Mabel Faust«, sagt Allison trocken und vollführt dabei eine auf- und abwärts gleitende Handbewegung, die wahrscheinlich von allen Männern dieser Welt verstanden wird. Außer von Nigger Bill, denn während er den hageren Texaner verständnislos mustert, beginnt Lee Marlowe schallend zu lachen.

Als sie ihre Pferde vor dem Anwesen des Richters zügeln, warten dort schon einige Männer ungeduldig vor der Eingangstür. Sie sind aus demselben Grund hier, weshalb auch Ben Allison und seine Sattelpartner heute Abend den weiten Weg von der Drei Balken nach Tascosa auf sich genommen haben. Es wird die Ankunft jenes zuständigen Armeeoffiziers aus Fort Bascom erwartet, der den Männern die Anzahl der Rinder bekannt geben wird, welche die Armee für die Indianerreservation benötigt, und was noch wichtiger ist, der auch verkündet, wie viel die Armee für jedes Rind zahlen wird.

Das Ganze ist also eine wichtige geschäftliche Angelegenheit und deshalb können die Wartenden nicht verstehen, warum sich Lee Marlowe halb tot lacht.

»Mich würde interessieren, ob du immer noch so lachst, wenn ich von der Army den Zuschlag für die Rinder erhalte, Lee«, sagt einer der Männer ungehalten.

Er ist das typische Ebenbild eines Ranchers, krummbeinig, wettergegerbt, mit einem offenen Gesicht und ehrlichen, klaren Augen, die allerdings jetzt den Mann von der Drei Balken etwas unwirsch mustern.

»Jetzt beruhige dich mal, George, das ist alles anders als du denkst. Wenn ich dir nachher bei einem Glas Whisky erzähle, warum ich so gelacht habe, dann wirst du wahrscheinlich auch mitlachen.«

»Na gut«, brummt der mit George angeredete Mann.

Der Disput ist aber schnell vergessen, als von Osten her ein Einspänner auf das Haus zukommt, der von vier Soldaten begleitet wird. In der nächsten Stunde wird die Spannung vor dem Haus des Richters beinahe greifbar, bis bekannt wird, von wem die Army Rinder kaufen will.

Was der Offizier danach verkündet, ist ein umsichtiges Angebot, das alle Rancher der Umgebung einschließt. Niemand wird benachteiligt oder bevorzugt. Auch mit dem Preis können die Rancher leben, besonders die Mannschaft der Drei Balken.

***

Im kalten Licht der Sterne reiten Ben Allison, Lee Marlowe und ihr Sattelpartner Bill wieder zufrieden nach Hause. Die Armee wird ihnen einhundert Rinder zum Preis von vierundzwanzig Dollar das Stück abnehmen und wenn man bedenkt, dass der Monatslohn eines guten Cowboys fünfundzwanzig bis dreißig Dollar beträgt, werden sie nach dem Verkauf der Tiere über eine Summe verfügen, die für ihre Verhältnisse geradezu riesig ist. Dementsprechend gelöst und heiter ist die Stimmung der Männer auf ihrem Heimweg.

Aber die Brasada ist kein Ort der Heiterkeit, jedenfalls nicht in diesen Tagen.

Dieser Landstrich im so genannten Panhandle von Texas, mit seinen rostroten bis gelben Felsformationen aus Kalkstein, dem übermannshohen Dornengestrüpp, den Giftschlangen, Skorpionen, Pumas und blutrünstigen Indianern gleicht eher dem Vorhof zur Hölle und nur die Härtesten der Harten können hier überleben. Hier ist der Tod ein ständiger Begleiter und hinter jedem Strauch lauert Gefahr. Deshalb verstummt ihr Lachen jäh, als sich östlich von ihnen vor dem Hintergrund einer Felsengruppe die Silhouette eines Reiters im fahlen Licht des Mondes abzeichnet.

Es ist deutlich zu erkennen, dass der Mann in gebückter Haltung auf seinem Pferd sitzt, schwankend, scheinbar kraftlos. Bei jedem Huftritt droht er aus dem Sattel zu fallen. Krampfhaft hält er sich am Sattelhorn fest.

Sofort reißen Bill und Lee ihre Pferde herum und wollen dem Mann zu Hilfe kommen, aber Ben Allisons scharfer Ruf hält sie zurück.

»Moment mal Jungs«, sagt er hart. »Etwas stimmt bei dieser Sache nicht! Lasst mich kurz nachdenken … dieser Pilger da kommt mir nämlich irgendwie bekannt vor.«

»Was soll das, Ben?«, erwidert Bill ungeduldig. »Was gibt es da noch zu überlegen? Dieser Mann ist offensichtlich in großer Not und braucht unsere Hilfe. Was hast du gegen ihn, passt dir etwa seine Nase nicht?«

»Natürlich, die Nase!«, stößt Ben hervor und klatscht laut gegen das Leder seines Sattels, während ihn seine Begleiter ungläubig mustern.

»Würdest du uns bitte erklären, was dieses Gerede zu bedeuten hat?«, will Lee wissen.

Ben Allison nickt und zeigt mit der Rechten auf den verletzten Reiter. »Seht ihn euch doch einmal genauer an. Es gibt im ganzen Land nur einen Mann mit einer solch großen Nase.«

Erst nach diesen Worten scheinen Lee und Bill zu bemerken, dass der Mann in der Tat über ein außergewöhnlich großes Riechorgan verfügt. Allmählich beginnt es auch Lee Marlowe zu dämmern.

»Himmel, du hast recht, Ben. So einen Zinken hat nur einer: Big Nose Callahan. Bei Gott, da ist uns ja ein schöner Vogel ins Netz gegangen.«

Als sie den Mann trotz seiner Verletzungen mit einem Wurfseil am Pferd festgebunden haben, kennt auch Bill die Geschichte von Big Nose Callahan. Dieser ist ein notorischer Dieb, Räuber und Betrüger, der bei seinem letzten Überfall von einigen beherzten Bürgern schlimm angeschossen wurde. Auf seine Ergreifung ist eine Belohnung in Höhe von fünfhundert Dollar ausgesetzt.

***

Nachdem die Männer der Drei Balken Callahan beim Sheriff abgeliefert haben und wieder zurück auf der Ranch sind, haben sie sechsunddreißig Stunden ununterbrochen im Sattel verbracht. Deshalb ist es kein Wunder, dass keiner von ihnen auch nur noch einen Handschlag macht, sondern stattdessen erschöpft auf der Veranda sitzt und seinen Gedanken nachhängt.

Gedanken, wie sie unterschiedlicher nicht sein können.

Die Ranch ist schuldenfrei, die Army zahlt uns über zweitausend Dollar für ein paar Rinder, die wir kostenlos in der Brasada zusammentreiben können und Sheriff Willingham wird noch einmal fünfhundert Mäuse dazulegen, nachdem wir ihm diesen Burschen vor die Füße gelegt haben. Yeah, denkt Ben Allison, heute ist wahrhaftig ein großer Tag für die Drei Balken. Jetzt scheint die Zeit gekommen, in der auch ich daran denken kann, mir das Leben um den Hals zu hängen.

Lee Marlowe hingegen ist in Gedanken bereits bei den Mädchen im Sechzehn Arschbacken Haus von Tascosa und malt sich aus, wie oft er wohl nun ein Bad nehmen, in seidener Bettwäsche schlafen und sich von den Girls den Bauch mit einer Feder streicheln lassen kann.

Bill träumt von einer Zukunft mit Frau und Kindern.

So unterschiedlich die Gedanken der Männer auch sind, sie haben alle eines gemeinsam.

Sie sind Cowboys, Männer, denen Besitz wenig, ein erfülltes Leben aber alles bedeutet.

Später einmal wird man sie als die ersten Hippies, Rocker, Poeten, Troubadoure und Haudegen bezeichnen, die allesamt ihrem eigenen Regenbogen bis ans Ende folgen werden.

Eine Tatsache, die für den zivilisierten Menschen von heute inzwischen zum Trauma geworden ist.

Copyright © 2010 by Kendall Kane