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Brasada – Folge 7

Ein verdammt harter Winter

Die erste Woche des Novembers bringt einen Nordwind ins Land, der sogar die ständig heulenden Kojoten verstummen lässt. Der Himmel nimmt eine bleigraue Farbe an und es riecht förmlich nach Schnee.

Das ganze Land scheint den Atem anzuhalten, während der Wind wie der frostige Atem eines Eisriesen über das Panhandle streicht.

Lee Marlowe schiebt das abgeschabte, fast durchsichtige Büffelhautstück, welches das schmale Fenster bedeckt, zur Seite und blickt hinaus. Die Ranch ist noch im Aufbau, es fehlt an allen Ecken und Enden und deshalb ist für Dinge wie Fensterglas noch kein Geld vorhanden. Büffel oder Antilopenhaut lässt, wenn sie ordentlich geschabt wurde, auch Sonnenlicht durch, und es kostet nichts. Es gibt diesen Rohstoff praktisch umsonst.

Es ist später Nachmittag und nur ein paar vereinzelte kleine Flocken tanzen im Wind. Die Luft ist eisig und scharf und es ist viel zu kalt, um zu schneien.

»Es wird diese Nacht wieder frieren. Wenn wir im Frühjahr noch einige Brushrinder auf unserem Land vorfinden wollen, sollte morgen früh jemand losreiten und unten am Creek das Eis aufhacken und etwas Salz auslegen.«

»Besser wäre noch heute Nacht«, sagt Allison.

»Im Mondschein zieht es immer wieder Antilopen zum Creek. Die Rinde der Cottonwoods hat es ihnen genauso angetan wie das Wasser. So eine feine Antilopenkeule wäre nämlich eine willkommene Abwechslung auf unserem Speiseplan. So langsam habe ich die Nase voll von Rindfleisch, denn wenn das so weiter geht, fange ich bald selber an zu muhen oder mir wachsen Hörner.«

Big Bills Kopf geht ruckartig in die Höhe.

Mit einem lauten Knall stellt der die Kaffeetasse auf den Küchentisch und runzelt missmutig die Stirn.

»Was willst du damit sagen, schmeckt euch mein Essen etwa nicht?«

»Ach Bill, auch wenn deine Steaks noch so zart sind, vier Wochen lang jeden Tag nur Sauerteigbrötchen, Rindfleisch und eine Soße aus Talg und Mehl können einen Mann schon mal veranlassen, von Kuchen, Hühnchen oder einer knusprigen Antilopenkeule zu träumen.«

Big Bill schüttelt verwirrt den Kopf.

»Kuchen, Hühnchen, verdammt Lee, sind wir hier auf einer Männerranch oder beim Treffen der strickenden Landfrauen von Tascosa?«

»Dem Essen des Kochs nach zu urteilen auf einer Männerranch, dem Aussehen nach weiß ich es nicht so ganz genau. Manche dieser Fregatten weisen da nämlich eine ziemliche Ähnlichkeit mit dir auf.«

Lee Marlowe kann gerade noch seinen Hut und seine Jacke vom Haken nehmen und die Tür hinter sich schließen, als auch schon der große Kaffeezinnbecher von Big Bill gegen den Türrahmen donnert. Aber damit ist die Sache noch nicht beendet.

Lee steckt den Kopf noch einmal durch die Tür und sagt freudlos: »He Ben, darf er so seinen Freund behandeln? Ich sage nein. Kein Wunder, dass selbst die Hölle Skorpione und Köche hasst!«

Diesmal ist es die schwere gusseiserne Bratpfanne, die Richtung Tür fliegt.

***

Lee Marlowe zieht die Ränder seines breitkrempigen Huts nach unten und wickelt sich den Schal so um den Kopf, dass Ohren, Hut und Wangen eine einzige große Mütze bilden. Dann schlägt er den Kragen seines Militärmantels hoch und zieht den Kopf zwischen die Schultern. Dennoch kann er dem eisigen Wind nicht ausweichen. Schon bald glitzern Eiskristalle in seinen Augenbrauen, der Wind stößt und zerrt an seinem Mantel und macht jede Bewegung zur Qual.

Dennoch bringt er es fertig, am Creek und am Rande des Brushgebiets fast ein halbes Dutzend Wasserlöcher aufzuhacken. Aber dann wird der Wind immer heftiger. Die schneidende Kälte dringt ihm bis auf die Haut und auch seinem Pferd ergeht es nicht besser. Der Braune senkt den Kopf und trabt nur noch unwillig voran, auch ihn verlässt in der Kälte so langsam die Kraft.

Deshalb macht sich Lee Marlowe jetzt schnell auf den Heimweg.

Dennoch muss er aufpassen, sehen, wohin er reitet und seinem Pferd nicht blindlings die Sporen geben, auch wenn Zuhause ein warmer Ofen lockt. Was nämlich passieren kann, wenn man den Winter in diesem Land unterschätzt, sieht Lee Marlowe bereits eine Meile später. Der Reiter liegt auf dem Rücken. Es ist ein rothaariger, dürrer Bursche, der die Zeichen des Landes nicht verstanden hat, oder in seiner jugendlichen Ungeduld nicht verstehen wollte.

Die Spuren sind für so einen erfahrenen Mann wie Lee Marlowe deutlich.

Um der Kälte zu entgehen, hatte er sein Pferd ohne nachzudenken angetrieben. Das Tier ist in einen versteckten Präriehundebau getreten und liegt jetzt auf seinem Reiter. Das Bein des Mannes ist sicherlich gebrochen, weil darauf mindestens achthundert Pfund toten Pferdefleischs liegen.

Aber das spürt dieser Mann nicht mehr, denn das Schicksal hat es mit ihm auch weiterhin nicht gut gemeint. Das Pferd krachte nach links. Weil der Mann Linkshänder ist, wurden sein Revolver und das Gewehr, welches er links trägt, unter dem Pferd begraben. Der Mann war also hilflos und konnte sich nicht bemerkbar machen, denn seine heiseren Schreie hörte in diesem fauchenden Nordwind niemand. So lag er also einen ganzen Tag reglos und hilflos am Boden, während ein Wind über das Land strich, der selbst jetzt noch die Luft in den Lungen einfrieren lässt.

Deshalb glotzt der junge Reiter Lee auch aus weit aufgerissenen Augen an und sein Gesicht ist eisverkrustet.

Kein Mensch hält es länger als einen halben Tag in dieser Kälte aus.

Verdammter Winter, denkt Lee, zerrt das Pferd von dem Toten und deckt den Mann dann notdürftig mit Steinen und Dornenbüschen zu. Danach reitet er weiter, seine Hände sind inzwischen blau angelaufen und selbst der Rotz, der aus seiner Nase läuft, gefriert in dieser Kälte.

***

Er bringt sein Pferd in den Stall, versorgt es und erst dann macht er sich auf den Weg ins Ranchhaus. Im Küchenraum, dort wo in der Feuerstelle mehrere Pinienkloben glühen, ist es warm. Lee hält sich gar nicht mit irgendwelchen Begrüßungsfloskeln auf, sondern stellt sich sogleich vor den Ofen und hält die Hände über die glühende Herdplatte. Sofort schmelzen die Eiskristalle in seinen Augenbrauen und auf seinem Mantel. Er hüpft dann von einem Bein aufs andere, um die Blutzirkulation anzuregen und dadurch seine Füße wieder zu erwärmen. Rasch bildet sich zwischen seinen Stiefeln eine große Pfütze.

»Jesus, ist das kalt«, sagt er leise, während sein sehniger Körper gar nicht mehr aufhören will zu zittern. »Und es wird noch kälter, von Nordwesten her kommt ein Blizzard.«

»Woher willst du das wissen?«, fragt Big Bill.

»Weil ich lange genug in diesem Land lebe, um die Zeichen der Natur zu verstehen. Außerdem spüre ich es in meinen Knochen.«

»Also können wir froh sein, dass wir unsere Hütten schon im September winterfest gemacht haben. Wer jetzt da draußen noch umherreitet, muss wohl damit rechnen, mit dem Arsch am Sattel festzufrieren.«

»Oder er wird zu Eis«, antwortet Lee. »So wie der Junge, den ich vorhin begraben musste.«

»Was für ein Junge?«, fragt Ben Allison neugierig.

Lee zuckt mit den Achseln. »Keine Ahnung, ich habe ihn in der Stadt nur ein oder zweimal gesehen. Ist wahrscheinlich irgendein Cowboy von einer der umliegenden Ranchs gewesen, der jetzt Grubline reiten musste. Der Junge war allerdings wohl ein ziemlicher Heißsporn. Wahrscheinlich einer von der Sorte, die sich aus Trotz lieber Salz anstatt Zucker in den Kaffee schütten, um sich ja nicht anpassen zu müssen.«

»Wie meinst du das?«

»Kein Mann, der einigermaßen bei Verstand ist, verlässt die sichere Überlandstraße und reitet in vollem Galopp querfeldein. Er musste doch ständig damit rechnen, dass sein Pferd in einen Präriehundebau tritt, in eine von Eis und Schnee bedeckte Bodenfalte stürzt oder sich in einer von Indianern versteckten Falle für Büffel oder Antilopen verfängt. Okay, es ist kalt da draußen und man muss als Grublinereiter versuchen, so schnell wie möglich den nächsten warmen Bau anzusteuern. Aber es ist doch nicht so kalt, dass man jegliche Vorsicht vergisst.«

»Yeah«, sagt Ben Allison nachdenklich und will von Lee wissen, was es sonst noch an Neuigkeiten gibt.

Das ist jetzt keine Gleichgültigkeit dem Verstorbenen gegenüber. Gewiss ist es schlimm, dass dieser Bursche so jung sterben musste, aber damit ihnen nicht dasselbe Schicksal passiert, müssen diese Männer wissen, was da draußen vor sich geht. So bitter sich das auch jetzt anhört, aber in dieser harten Zeit und in diesem harten Land kann man nur überleben, wenn man noch härter ist.

»Dieses Jahr gibt es anscheinend wirklich einen verdammt harten Winter«, sagt Big Bill und legt noch einige Holzscheite nach.

Copyright © 2009 by Kendall Kane